Nesbø, Jo - Harry Hole - 02
Hole das Beste war, was die Abteilung zu bieten hatte – der perfekte Mann für den Job.
Er warf einen Blick in die Runde. Politik, Macht, Einfluss. Das war ein Spiel, von dem er nichts verstand, aber er erkannte, dass es in gewisser Weise auch um sein eigenes Bestes ging. Es war ihm gerade bewusst geworden, dass das, was er jetzt sag te und tat, Konsequenzen für seine we itere Karriere haben konnte. Die Polizeipräsidentin hatte sich so weit vorgewagt, einen Namen zu nennen. Vermutlich hatte einer der anderen darum gebeten, Holes Qualifikationen von seinem direkten Vorgesetzten bestätigt zu bekommen. Er sah zur Polizeipräsidentin und versuchte, ihren Blick zu deuten. Natürlich war es m öglich, dass mit Hole alles glatt lief. W as aber, wenn er ihnen davon abriet, Hole zu schicken, würde das nicht ein ga nz merkwürdiges Licht auf die Polizeipräsidentin werfen? Wenn man ihn bitten würde, jemand anders vorzuschlagen, wäre es dann nicht einzig und allein sein Kopf, der auf dem Schafott lag, wenn der Betreffende die Sache verbockte?
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Møller hob den Blick und studierte das Gemälde über der Polizeipräsidentin. Trygve Lie, der UNO-Generalsekretär, blickte ihn flehend an. Auch er ein Politiker. Durch die Fenster sah er die Dächer der M ietshäuser im schräg hereinfallenden Winter-licht. Die Festung Akershus und ein W etterhahn, der auf de m Dach des Hotels Continental im eisigen Wind zitterte.
Bjarne Møller wusste, dass er ein guter Polizist war, aber d as hier war etwas anderes, die Regeln dieses Spieles kannte er nicht.
Wozu hätte ihm sein Vater ge raten? Tja, nur hatte sich Wachtmeister Møller nie nach de n Vorgaben der Politik richten müssen. Allerdings hatte er begr iffen, worauf es ankam , wenn man weiterkommen wollte, und hatte seinem Sohn verboten, auf der Polizeischule anzufangen, ehe er nicht das Juragrundstudium absolviert hatte. Und den Rest hinterher. Bjarne hatte getan, was sein Vater von ihm verlangt ha tte, und nach der Exam ensfeier hatte sich dieser immer wieder geräuspert und ihm unablässig auf die Schulter geklopft, bis Bj arne ihn schließlich gebeten hatte, doch damit aufzuhören.
»Ein guter Vorschlag«, hörte Bj arne Møller sich selb st mit lauter, klarer Stimme sagen.
»Gut«, sagte Torhus. »Der Gr und für diese rasche Besprechung ist der, dass die S ache natürlich eilt. Er soll alle anderen Tätigkeiten einstellen und sich bereits m orgen auf den Weg machen.«
Na ja, vielleicht ist es genau so eine Aufgabe, die Hole jetzt braucht, tröstete sich Møller.
»Es tut m ir leid, dass wir einen derart wichtigen Mann aus Ihrer Truppe abziehen müssen«, sagte Askildsen.
Dezernatsleiter Møller musste sich zusammenreißen, um nicht laut loszulachen.
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KAPITEL 3
Sie fanden ihn im Restaurant Schrøder in der Waldemar Thranes gate, einer altehrwürdigen Kneipe zwischen den westlichen und östlichen Stadtteilen. Mehr alt als ehrwürdig, um ehrlich zu sein.
Die Ehrwürdigkeit lag vor allem darin begründet, dass irgend-jemandem im städtischen Denkm alschutzamt in den Sinn gekommen war, das braune, verrauchte Lokal als bewahrenswert auszuweisen. Aber dies er Denkmalschutz erstreckte s ich nicht auf die Kundschaft: gejagte, vom Aussterben bedrohte Vertreter der Gattungen alter Säufer, Langzeitstudent und müde gewordener Charmeur, deren Verfallsdatum längst abgelaufen war.
Als die zwei Beam ten die Kneipe betraten, riss der Luftzug, der durch die Tür hereindrang, den dicken Rauchteppich einen Augenblick auf, und sie sahen die groß gewachsene Gestalt unter einem Gemälde der Aker Kirche sitzen. Die blonden kurzgeschnittenen Haare sta nden hoch wie Stacheln, und der Dreitagebart in dem mageren, markanten Gesicht begann grau zu werden, obgleich der Mann sicher erst Mitte dreißig war. Er saß allein d a, aufrecht, die Jack e lose über d en Schultern, als wollte er jeden Augenblick gehen. Als wäre das große Bierglas, das vor ihm auf dem Tisch stand, nicht Vergnügen, sondern eine Arbeit, die er hinter sich bringen musste.
»Man hat uns gesagt, wir würd en Sie hier finden«, sagte der Ältere der beiden und setzte sich vor ihm auf den Stuhl.
»Mein Name ist Waaler.«
»Seht ihr den da am Ecktisch?«, fragte Hole, ohne aufzubli-cken.
Waaler drehte sich um und sa h einen alten, abgem agerten Mann, der sich unablässig vor- und zurückbewegte und dabei i n sein Weinglas starrte. Er sah aus, als würde er frieren.
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»Sie nennen ihn den letzten
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