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Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok

Titel: Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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gerade laufen muss, schon ganz gut.«
    In diesem Augenblick kletterte auch Din-Mikkith, beladen mit einem Netz voller Früchte und anderer Pflanzen, über den Rand der Plattform. Er floss geradezu auf das schmale Podest, denn sein vielgliedriger Knochenbau ermöglichte ihm unglaublich runde, gleitende Bewegungen, sodass Yonathan an überkochenden Haferschleim denken musste, nur dass Din-Mikkith entgegen allen Naturgesetzen aufwärts floss.
    »Din-Mikkith, liebes Din-Mikkith.«
    Der Angesprochene reagierte kaum auf die Begrüßung. Stattdessen setzte er das Netz auf den Boden und ließ die Blätter eines Astes, der fast ins Haus hineinreichte, zwischen den Fingern hindurchgleiten. Yonathan und Yomi schauten sich an, wagten aber nicht ihren Gastgeber zu unterbrechen. Sie spürten, dass sich hier etwas abspielte, das jenseits ihrer menschlichen Wahrnehmungen lag. Diese Empfindung wurde noch verstärkt, als Din-Mikkith sich von dem Blattwerk abwandte, mit entschlossenem Schritt in das Baumhaus trat und nicht etwa Yonathan, sondern Girith schweigend begrüßte, indem er den Kopf des Vogels mit beiden Händen umschloss und diese dann am Körper des Tieres entlangstrich, als wolle er ihm Wasser aus dem Gefieder streifen. Erst, als die Hände des Behmischs sich wieder lösten, gab Girith einen leisen, gurrenden Laut von sich.
    Dann drehte sich Din-Mikkith zu Yonathan um und schaute ihm forschend ins Gesicht. Yonathan hatte das ungute Gefühl durchsichtig zu sein, sodass all seine Gedanken und Empfindungen vor diesen dunkelgrünen Augen offen lagen. Bevor das Schweigen unerträglich wurde, schüttelte Din-Mikkith den Kopf und verzog das Gesicht zu einem Lächeln.
    »Du bist wirklich noch ein Kind und ein menschliches noch dazu«, kicherte er. »Einem Behmisch wäre so etwas nicht passiert. Na, wenigstens scheinen deine Reflexe wieder in Ordnung zu sein, sonst hätten wir dich jetzt wohl aus dem Waldboden ausgraben müssen.«
    Yonathan war perplex. Sein Geheimhaltungsbeschluss hatte sich damit erübrigt. »Du hast mit den Lebenden Dingen gesprochen, stimmt’s?«
    Der Behmisch verzog das Gesicht noch ein wenig stärker und nickte.
    Dieser erste Tag außerhalb des Krankenbettes leitete für Yonathan eine Phase der Erholung ein, die gleichzeitig zu der interessantesten Zeit seines bisherigen Lebens gehörte. Er, Yomi und Din-Mikkith, drei völlig unterschiedliche Persönlichkeiten, verschmolzen in einer Freundschaft von ganz besonderer Art. Yonathan erzählte viel von sich, von Navran und von dieser abenteuerlichen Reise. Zusammen mit Yomi lernte er viel über die Behmische und die Natur, über Din-Mikkith und das Verborgene Land. Din-Mikkith zeigte sich als ein Wesen, das bisweilen kauzig und eigentümlich war, wie es auch alte Menschen gelegentlich sind; aber im tiefsten Innern besaß er ein großes Herz, das die Schöpfung und die Lebenden Dinge liebte, sie hegte und pflegte.
    Obwohl Din-Mikkith seinen Gästen nur pflanzliche Mahlzeiten vorsetzte, lernten Yonathan und Yomi Speisen kennen, die nicht nur neu waren, sondern auch herrlich schmeckten. Es gab Pilze, die besser mundeten als Hammelbraten, Früchte, die unter stacheliger Schale wunderbar saftiges und süßes Fruchtfleisch verbargen, und Nüsse, die das Aroma von Zimt und den Geschmack von… er wusste nicht was, aber jedenfalls einen einzigartigen Geschmack besaßen.
    Schon bald war Yonathan kräftig genug, dass er die Strickleiter benutzen konnte, die von Din-Mikkiths Behausung zum Waldboden hinabführte. In dieser Gegend des Regenwaldes befand sich ein »Hain«, den nur Riesen gepflanzt haben konnten: gewaltige Bäume, die bis zu zweihundert Fuß aus dem moosigen Waldboden in die Höhe ragten. Der Boden war fast frei von anderen, kleineren Pflanzen, als hätten zierlichere Bäumchen und Büsche zu viel Respekt vor ihren riesigen Verwandten, um sich in ihre Nähe zu wagen.
    »Da oben bin ich sicher vor den meisten unfreundlichen Mitbewohnern des Waldes«, erklärte Din-Mikkith, während Yonathan mit weit im Nacken liegendem Kopf zum Baumhaus emporspähte. »Und vor allem vor dem wandernden Sumpf – sollte es sich doch einmal in dieser Gegend blicken lassen.«
    Diese Äußerung rief einen Gedanken in Yonathans Sinn zurück, der ihn schon lange beschäftigte. »Kennst du das alte Gedicht, das man sich über die sieben Wächter des Verborgenen Landes erzählt?«, fragte er, ohne den Blick von Din-Mikkiths Behausung zu wenden.
    »Wer kennt es nicht? Es ist fast so alt

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