Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok
Yo und mich nicht umbringen und verrückt machen können? Wie hast du überhaupt von uns erfahren und uns im Grünen Nebel gefunden?«
»Du sagtest, du hättest noch ein Frage. Das waren weitere drei. Morgen ist auch noch ein Tag. Sieh erst mal zu, dass es dir besser geht. Dann werden wir weitersehen.«
Din-Mikkith wollte sich gerade endgültig zum Gehen wenden, da zog lautes Flügelschlagen die Aufmerksamkeit aller auf sich. Ein taubengroßer Vogel setzte sich auf die Unterkante des Fensters, schüttelte feinste Tröpfchen aus dem Gefieder und musterte interessiert die drei Insassen des Waldhauses aus seinen braunen Augen.
Yonathan stutzte. Das blaue Gefieder mit den gelben Flügelspitzen und vor allem der auffällige, runde, rote Federschopf auf dem Kopf…
»Rotschopf!«, rief Yomi, worauf der kleine Vogel mit lautem Krächzen antwortete.
»Ach ja, ich vergaß«, bemerkte Din-Mikkith zerstreut. »Ihr kennt euch ja bereits.« Dann fügte er lächelnd hinzu: »Damit wäre bereits deine dritte Frage beantwortet. Du musst Girith stark beeindruckt haben, dass es so rasch auf Zuruf erscheint.«
»Du meinst, du hast durch Rotschopf von uns erfahren?«
»So ist es«, bestätigte Din-Mikkith.
»Kann er denn sprechen?«
»Din-Mikkith«, meldete sich Rotschopf, vom Ehrgeiz gepackt. »Liebes Din-Mikkith.«
»Nicht so vorlaut, Girith!« Din-Mikkith rief den Vogel in gespielter Strenge zur Ordnung. »Nein, es kann nicht wirklich sprechen. Aber es gehört zu den Lebenden Dingen.«
»Ja, ja, aber hören und verstehen ist ein großer Unterschied«, bemerkte Yonathan, indem er seinen Blick zwischen dem bunten Papagei und dem einfarbigen Din-Mikkith hin und her wandern ließ.
»Na, jedenfalls wollte ich es erst selbst nicht glauben. Aber dann griff ich zur Lianen-Salbe – ein wenig davon unter dem Nase hilft vorzüglich gegen das Grüne Nebel! – und machte mich mit Girith auf, euch zu suchen. Es führte mich direkt zu euch. Dein weißbrauner Freund irrte im Wald herum – er war dem Nebel rechtzeitig entkommen. Dann fand ich dich endlich am Rand des Sumpfes. Dass du dich wieder so schnell erholt und das meiste von deinem Verstand behalten hast, ist mir ein Rätsel. Du kannst Yehwoh dafür danken – wahrscheinlich hat er noch einiges mit dir vor.«
Yonathan überhörte die kleine Spitze und versicherte: »Ich danke dir, Din-Mikkith, dass du das für Yomi und für mich getan hast.«
Din-Mikkith kicherte. »Wenn nach so langer Zeit gleich zwei Besucher an meinem Haus vorbeilaufen, dann muss ich sie doch wenigstens zu einem Kräutertee einladen – oder?«
Sie lachten und Girith unterstützte die heitere Stimmung mit einem fröhlichen »Din-Mikkith, liebes Din-Mikkith«.
»So, jetzt ist aber wirklich Schluss«, verkündete der Behmisch kurz darauf an Yonathan gewandt. »Wenn du dich noch mit jemandem unterhalten willst, dann mit Girith. Ein geduldiger Zuhörer.« Damit nahm er Yomi wieder ins Schlepptau, drehte sich um und steuerte entschlossen auf die mit einer geflochtenen, grünen Matte verhangene Tür zu.
Während die beiden das Zimmer verließen, rief Yonathan hinterher: »Was bedeutet eigentlich der Name ›Girith‹?«
»Rotschopf«, ertönte die Antwort von draußen.
Eine haarige Bekanntschaft
Bereits am folgenden Tag verließ Yonathan das Bett. Er fühlte sich ausgeruht und viel kräftiger als noch am Tage zuvor. Er suchte auch nach Ablenkung, denn im untätigen Herumliegen kreisten seine Gedanken immer wieder um einen dunklen Punkt. Wie ein Strudel, der alles, was in seine Nähe kommt, in die kalte Tiefe hinabzieht, drehte sich schon nach kurzer Zeit des Alleinseins jeder Gedanke um den Tod Gavroqs, Sethurs Hauptmann, und um seine, Yonathans, Verantwortung.
Da Yomi und Din-Mikkith sich für eine Weile abgemeldet hatten – sie müssten etwas zu essen besorgen – und nur Rotschopf auf dem Fenstersims saß, um ihm Gesellschaft zu leisten, beschloss Yonathan auf eigene Faust seine nähere Umgebung zu erforschen. Das würde seine trüben Gedanken etwas aufhellen. Schwungvoll erhob er sich von seinem Lager, um sogleich wieder zurückzusinken. Seine zitternden Beine konnten ihn kaum tragen. Erschrocken wischte er sich kalten Schweiß von der Stirn. Geist und Körper konnten offenbar recht unterschiedliche Auffassungen von der eigenen Belastbarkeit haben.
Der zweite Versuch war ein Kompromiss. Yonathan ging die Sache sehr vorsichtig an und Girith beobachtete seine Manöver mit schiefem Kopf. Behutsam
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