Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok
wie Neschan selbst«, antwortete der Behmisch und fuhr geheimnisvoll flüsternd fort: »Yehwoh hat diesen Fluch auf das Land gelegt, damit es nie mehr ein Ort der Verehrung Melech-Arez’ und seines Baumes
werden kann.«
»Du meinst den Baum Zephon?«
Din-Mikkith nickte und legte Yomi, der neben ihm stand, liebevoll die Hand auf den Arm. »Du bist zwar von ihm gezeichnet, mein Freund, aber es wird nicht ewig so bleiben. Außerhalb dieses Landes wird das Zeichen Zephons verblassen und bald wirst du wieder aussehen wie zuvor.«
»Siehst du, Yo«, sagte Yonathan, und sein großer Freund strahlte über das ganze Gesicht. »Ich hab’s dir ja immer gesagt.« An Din-Mikkith gewandt, fragte er weiter: »Kennst du alle sieben Wächter des Verborgenen Landes?«
»Nicht alle«, gab dieser zu, »aber ich bin sicher, ihr seid zumindest einem von ihnen begegnet.«
»Zwei Augen, die brennen in ewigem Feuer, das kalt ist wie Eis und doch jeden verzehrt«, zitierte Yonathan.
Din-Mikkith nickte, eine eigenartig schaukelnde Bewegung des Kopfes. »Richtig. Der Feuersee, der nicht heiß ist und trotzdem alles verzehrt, das mit seiner kalten Flamme in Berührung kommt.«
»Und trotzdem konnten Yo und ich, du und auch Sethur mit seinen Männern in das Verborgene Land eindringen. Wie ist das möglich?«
»Die Frage ist klug, mein Kleines. Hätte Yehwoh jedem Wesen den Zugang verwehren wollen, so wäre die Mauer wohl wirklich undurchdringlich. Seine Absicht war es jedoch nur, keinem Volk mehr Gelegenheit zu geben hier ansässig zu werden, damit die alten Kulte nicht wieder aufleben konnten. Und das hat Yehwoh ja bekanntlich erreicht!«
»Ja, und sogar noch mehr«, bestätigte Yonathan. »Die Menschen haben das Verborgene Land zu einer Legende gemacht, sodass buchstäblich niemand mehr hierher gelangt ist.«
Din-Mikkith kicherte in sich hinein und widersprach: »Ein paar waren schon hier – soweit ich das von den Lebenden Dingen erfahren konnte.«
Yonathan und Yomi schauten sich verdutzt an. »Aber wie kommt es, dass man nie von ihnen erfuhr?«
»Die Wächter haben wohl dafür gesorgt, dass sie nicht wieder herausgekommen sind.«
Yonathan fröstelte, trotz der schwülen Wärme hier im Regenwald. »Besteht die Gefahr, dass wir den anderen Wächtern auch noch begegnen?« Er blickte sich um, konnte jedoch nichts Verdächtiges entdecken – was ihm auch verdächtig erschien.
»Das kommt darauf an, wohin ihr euch wenden wollt«, entgegnete Din-Mikkith fröhlich. »Zunächst einmal solltest du wieder richtig gesund werden, und dann… Du erinnerst dich an die Ohren in dem Gedicht?«
»Zwei Ohren, die lauschen in verlass’nem Gemäuer, verwandeln zu Stein, wessen Drängen sie stört. Ist es die Stelle, die du meinst?«
»Genau. Die Ohren sind zwei Türme am Ende einer schmalen Schlucht. Sie bewachen den einzigen Eingang zum Verborgenen Land, wenn man sich ihm vom Drachengebirge, also von Osten her, nähert. Ich habe es passiert, ohne dass mir etwas geschah, aber ich sah die zu Stein erstarrten Gestalten derer, die es nicht geschafft hatten.«
»Wie kommt es, dass dich die Türme so einfach vorbeigelassen haben?«, fragte Yonathan beklommen und doch neugierig.
»Vielleicht hat der Wächter gerade ein Schläfchen gehalten«, erwiderte Din-Mikkith. Etwas ernster fügte er hinzu: »Nein, Yehwohs Fluch schläft nie. Ich kann wirklich nicht sagen, warum mich die Türme vorbeiließen – vielleicht, weil ich nichts Böses im Sinn hatte, schon gar nicht, was das Wiedereinführen der alten Kulte betraf.«
Bei diesen Worten fiel Yonathan wieder ein, weswegen er überhaupt in diesen ganzen Schlamassel geraten war. Er hatte einen Auftrag erhalten, einen wichtigen Auftrag, eine Aufgabe, die zu vereiteln sich mächtige Feinde gegen ihn verschworen hatten. Zwar war es Sethur nicht gelungen ihn auf Dauer in seine Gewalt zu bringen. Aber was machte das schon? Yonathan hatte es schließlich dem Heerobersten Bar-Hazzats zu verdanken, dass er am Ewigen Wehr beinahe ertrunken war; und auch, wenn ihn Yomi vor diesem Schicksal gerettet hatte, so doch nur, um in ein anderes Gefängnis verschlagen zu werden: das Verborgene Land. Tiefe Unruhe ergriff ihn. Wenn es ihm nicht gelänge die Wächter dieses von Bergen umschlossenen Gartens ein weiteres Mal gnädig zu stimmen, dann hätte Bar-Hazzat doch gesiegt – der Stab Haschevet bliebe auf ewig verschollen, der siebente Richter würde nie erscheinen und ganz Neschan würde in Finsternis und
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