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Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok

Titel: Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Führers und Fährtensuchers an – das, worum Goel mein Volk gebeten hatte.
    Ich geleitete den Stabträger durch das Drachengebirge und weiter. Wir lockten Grantor in viele Hinterhalte und brachten seinem Heer empfindliche Schlappen bei. Als wir das Drachengebirge weit hinter uns gelassen hatten, entließ mich Goel voll Dankbarkeit und sandte mich zurück zu meinem Volk.
    Während der Wochen des Wanderns trugen mir die Lebenden Dinge beunruhigende Nachrichten zu. Ich beeilte mich, doch ich kam zu spät. Wieder in unserem Hochland angelangt wurden die schlimmsten Befürchtungen wahr: Mein ganzes Volk war hingeschlachtet worden. Ich fand nicht einenÜberlebenden, nur Asche und Tod. Die Leichen lagen allesamt aufgetürmt zu einem grausigen Staudamm in unserem Fluss. Ob sie dort im Kampf gestorben waren oder Grantor sie erst nachher hineinwerfen ließ, weiß ich nicht. Vielleicht hatten sie ihm genauso wie Goel Hilfe verweigert oder ihn sogar angegriffen. Wie auch immer, der wahnsinnige Dunkle Herrscher hatte keine Gnade gezeigt und alle umgebracht.
    Ich war verzweifelt. All diese Toten! Es war kaum noch Grün an ihren Leibern zu sehen. Der Fluss hatte jeden Tropfen Blut aus ihnen herausgewaschen. Ich fühlte mich allein gelassen. Damals war ich noch sehr jung. Außer den Kenntnissen meiner Vorfahren hatte ich wenig eigene Erfahrungen. Ich befürchtete, dass ein Spähtrupp Grantors früher oder später in unser Hochland zurückkehren könnte. Deshalb beschloss ich dorthin zu ziehen, wo es – nach dem Garten der Weisheit – wohl am sichersten war auf ganz Neschan.«
    »Und das war das Verborgene Land«, sagte Yonathan.
    Din-Mikkith nickte. »Ein Zufluchtsort für das letzte Behmisch«, schloss er düster.
    Yonathan war die Geschichte wieder eingefallen, die ihm Navran, sein Pflegevater, am Abend vor seiner Abreise erzählt hatte. Er hatte von einem Behmisch berichtet, der Goel einst diente, dann aber ebenso endgültig wie die hingemordeten Stammesgenossen verschwunden war. Und nun saß diese Legende auf seiner Bettkante.
    Er und Yomi schwiegen; das erschien ihnen die beste Art ihr Mitgefühl für den einsamen Behmisch auszudrücken.
    Nach einiger Zeit brach Yomi das Schweigen: »Das tut mir ungeheuer Leid!«, versicherte er mit zitternder Stimme. »Ich kann dich so gut verstehen. Auch meine Familie und die Bewohner meiner Heimatstadt wurden vom Dunklen Herrscher Temánahs umgebracht – auch wenn er heute Bar-Hazzat und nicht mehr Grantor heißt.« Dann kehrte das Schweigen zurück.
    Es fing an zu regnen. Große, runde Tropfen fielen schwer auf das Dach des Regenwaldes. Die schmalen, spitz zulaufenden Blätter nahmen den dicken Tropfen ihre Wucht und ließen das Wasser wohldosiert auf den Waldboden herabtröpfeln. Doch keiner der drei Gefährten achtete auf das Rauschen des Wassers im Wald draußen. Sie fühlten den Schmerz der Welt über den Verlust eines ihrer Kinder: des Volkes der Behmische.
    Din-Mikkith kehrte als erster in die Gegenwart zurück, wohl weil er zweihundert Jahre Zeit gehabt hatte über den unwiederbringlichen Untergang seiner Art hinwegzukommen.
    »Genug geschwatzt«, brummte das grüne, faltige Wesen und erhob sich energisch von der Bettkante. Der Behmisch griff Yomi am Oberarm und zog ihn aus dem Zimmer. »Yonathan braucht Ruhe. Wer einmal im Grünen Nebel des Wandernden Sumpfes gefangen war und mit klarem Verstand wieder herausgekommen ist, sollte sein Glück kein zweites Mal auf das Probe stellten.«
    Yonathan horchte auf. Die Niedergeschlagenheit fiel von ihm ab wie ein Mantel, und seine Neugier erwachte. »Warte!«, hielt er den Behmisch zurück. Din-Mikkith und Yomi schauten fragend. »Könntet ihr euch vielleicht ein bisschen klarer ausdrücken, was diesen merkwürdigen Grünen Nebel und den Wandernden Sumpf betrifft? Yo erzählte vorhin etwas von Nicht-völlig-normal-Sein und du, Din-Mikkith, deutest Ähnliches an. Was hat das zu bedeuten?«
    Der Behmisch kam wieder auf Yonathans Bett zu und sagte: »Und ob ich davon weiß! Mir kann dieses verfluchte Grüne Nebel nichts anhaben.« Verächtlich stieß er eine Menge Luft aus. »Genauso wenig wie ich ihm etwas antun könnte.«
    »Du sprichst von dem Nebel wie von einer lebenden Person.« »Ein Person, viele Personen – wer weiß. Jedenfalls hat es schon viele Wesen das Leben gekostet. Und diejenigen, die
    ihm entkommen sind, sind dem Wahnsinn verfallen, bis sie schließlich verhungerten.«
    »Warum kann er dir nichts anhaben? Und warum hat er

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