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Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok

Titel: Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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zuhielt. Hatte Din-Mikkith ihn hierher geführt, um ihm zu zeigen, dass auch er mit den Lebenden Dingen »sprechen« konnte?
    Gerade wollte die Prachtbiene sich in die Luft schwingen, da rutschte sie auf den glatten Wänden des Blütenkelches aus und purzelte hinein. Ein aufgeregtes Summen ertönte aus dem Inneren und Yonathan befürchtete Schlimmes.
    »Das ist doch keine Fleisch fressende Pflanze?«, fragte er.
    Din-Mikkith kicherte wieder. »Warte nur ein wenig, dann wirst du Virikith wieder sehen.«
    Lange Zeit war von dem grünen Insekt nichts zu sehen. Nur das Summen und das Schaukeln des Blütenkelches deuteten darauf hin, dass die Prachtbiene dort drinnen zumindest noch am Leben war.
    »Was macht sie denn so lange?«, fragte Yonathan ungeduldig.
    »Es sammelt Parfüm, für seine Braut.«
    »Parfüm?«, wiederholte Yonathan. »Ich habe bis jetzt noch nie davon gehört, dass Bienen außer Honig auch Parfüm sammeln.«
    Nach einer Weile unternahm er einen erneuten Vorstoß. »Du hast mich doch sicher nicht hierher geführt, um mir eine Biene zu zeigen, die in einer Blume verschwindet, oder?«
    »Natürlich nicht. Ich habe schon befürchtet, du würdest nie danach fragen.« Din-Mikkith blickte ihn aus listigen, grünen Augen an. »Ist dir nichts aufgefallen, als das Tier auf dem Rand der Blüte herumkrabbelte?«
    Yonathan dachte einen Moment nach. »Doch!«, rief er aufgeregt und schaute zur Blume, die noch immer heftig hin und her schaukelte. »Natürlich! Sie ist nicht fortgeflogen, obwohl wir uns laut unterhalten haben. Sie hatte offenbar keine Angst vor uns. Oder ist sie zahm?«
    »Nun, die Wahrheit liegt dazwischen. Sobald Virikith den Duft dieser Blume wahrnimmt, vergisst sie alles um sich herum. Sie ist dann völlig wehrlos. Jeder Feind – selbst ein Faultier – könnte sie jetzt greifen. Sie würde nicht wegfliegen.« Din-Mikkith schaute Yonathan ernst ins Gesicht. »Bei allem, was du tust, tue es nie wie Virikith.«
    »Wie meinst du das?«
    »Mir ist aufgefallen, dass dich etwas sehr beschäftigt, schon seit längerem.«
    Yonathan schluckte. Vor diesem Behmisch schien man wirklich nichts verbergen zu können.
    »Hat es mit dem Tod von Sethurs Hauptmann zu tun?«
    »Woher weißt du das alles so genau?«, rief Yonathan erstaunt.
    Din-Mikkith ließ sein raschelndes Kichern vernehmen. »Von eurer Flucht hast du meinem Ohr erzählt; dass dich etwas bedrückt, meinem Auge; dass beides zusammengehört, meinem Verstand.«
    »War das so leicht zu erkennen?«
    Din-Mikkiths Schultern hoben und senkten sich wellenförmig. »Es mögen schon ein-oder zweihundert Jahre Übung dazugehören«, erwiderte er gleichmütig. »Hast du zum ersten Mal miterlebt, wie ein Mensch zu Tode kam?«
    »Nein. Ich habe mal gesehen, wie einer aufgehängt wurde, bei uns zu Hause, in Kitvar. Er hatte seinen Knecht erschlagen
    – angeblich, weil er faul war.«
    »Bedenke, Yonathan, dieser Mann, der durch dich oder vielmehr durch Haschevets Macht das Leben verloren hat, war ein Hauptmann Sethurs. Zu einem solchen Rang kommt man nicht, wenn man nur ein Menschenleben auf dem Gewissen hat.«
    »Ich weiß, Din-Mikkith. Sethur sprach ja selbst davon, dass es für Gavroq und seine Männer ein Spiel wäre Menschen zu Tode zu quälen. Bestimmt hatte er den Tod verdient. Aber trotzdem…«
    »Trotzdem, was?«
    Yonathan musste sich überwinden, um seine innersten Gefühle vor dem Behmisch auszubreiten. Aber als er erst einmal begonnen hatte, fiel ihm das Sprechen immer leichter. »Als ich in Kitvar den Auftrag bekam, mit Haschevet die Reise zum Garten der Weisheit zu unternehmen, sagte man mir, ich dürfe das Böse nie mit dem Bösen selbst bekämpfen, nur das Gute könne das Böse besiegen. Außerdem wurde mir gesagt, dass ich diesen Auftrag erhalten habe, weil ich zu vollkommener Liebe fähig sei. Nun sage mir, Din«, Tränen traten in Yonathans Augen, »war das, was ich getan habe, ein Ausdruck der Liebe? Ich glaube, ich habe wirklich Hass empfunden, als ich erfuhr, was Sethur und seine Leute Yomi antun wollten!« Er schüttelte verzweifelt den Kopf. »Als ich auf diese Reise geschickt wurde, sagte man mir, die vollkommene Liebe sei ein Licht, das von keiner Finsternis verschlungen werden kann, aber ich fürchte, mein Handeln hatte mit dem Licht der Sonne nichts zu tun, Din. Es war eher die Dunkelheit der Nacht, die mich vorwärts trieb.« Entmutigt ließ er den Kopf sinken. »Irgendwie habe ich Zweifel daran, dass ich der Richtige für diesen

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