Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok
schweren Auftrag bin. Ich möchte zwar mein Bestes geben, aber ich fürchte, dass es nicht ausreichen wird.«
Während er so dasaß, mit hängendem Kopf und niedergeschlagen wegen seiner Unzulänglichkeit – aber auch erleichtert seine Selbstzweifel endlich jemandem mitteilen zu können –, spürte er die Hand des Behmischs auf seiner Schulter.
»Siehst du, Yonathan, und deshalb habe ich dich hierher mitgenommen.«
Yonathan hob verwundert den Kopf und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. »Das verstehe ich nicht.«
Din-Mikkith zeigte sein fremdartiges Lächeln und erklärte: »Dieses Tier denkt nur an das Parfüm. Es vergisst alles um sich herum, selbst so Wichtiges wie den Feind, der es im nächsten Augenblick fressen könnte. Mit dir ist es ähnlich, Yonathan: Dein Denken, Liebe und Hass seien einander so fremd wie Tag und Nacht, hat deinen Sinn so sehr benebelt, dass du das Offensichtliche nicht bemerkt hast. Liebe und Hass sind wie Tag und Nacht, ja, aber dazwischen liegt Dämmerung. Liebe und Hass sind wie Sonne und Mond, sicher, aber manchmal teilen sie sich für kurze Zeit den Himmel.«
»Du meinst, dass Liebe und Hass nebeneinander Platz haben können? Wie kann das sein?«
»Dein Problem ist, dass du deinen Hass immer mit Personen verbunden hast. Aber waren es wirklich die Menschen, die dieses Gefühl in dir weckten?«
Langsam begann Yonathan zu begreifen. »Nein, eigentlich waren es ihre Handlungen, das, was sie getan haben.«
Din-Mikkith nickte. »Siehst du. Es kommt darauf an, was man hasst und nicht wen. Jedes Geschöpf kann sich noch dem Guten zuwenden – es vorschnell zu verurteilen, wäre kein Zeichen von Liebe. Aber böses Denken und Handeln schaffen Leid und man kann es nie mehr ungeschehen machen. Dieses zu hassen ist ein Gebot der Liebe!«
Din-Mikkiths Worte waren Balsam für Yonathans wundes Innenleben, und wie heilsames Öl langsam über eine Wunde fließt, klangen sie noch lange in seinem Geist nach. »Ich glaube, ich verstehe, was du meinst, Din«, sagte er schließlich.
»Und ich bin dir sehr dankbar, dass du mir etwas über die Prachtbienen beigebracht hast.«
Din-Mikkith lachte und es hörte sich an wie eine Herbstbrise in einem Haufen Laub. »Mir scheint, dir geht es wirklich schon besser – du machst schon wieder Scherze. Bewahre stets deinen gesunden Sinn. Sei beharrlich, aber nie maßlos. Handle konsequent, aber nie extrem. Nimm auf andere Rücksicht, aber sei wachsam und lass dich nicht von deinem Vorhaben abbringen.«
Yonathan ließ diese Worte tief in sein Bewusstsein hinabsinken, bis sie dort schließlich auf eine Erinnerung trafen, auf etwas, das keinen weiteren Aufschub duldete. Er bemerkte kaum, wie sich die Prachtbiene mühsam ins Freie zwängte und mit Pollen beladen davonflog. Der Fliegende Smaragd sorgte für die Befruchtung dieser prachtvollen Blumen. Aber auch Yonathan hatte einen Auftrag zu erfüllen.
»Din«, sagte er eindringlich, »wann, glaubst du, bin ich wieder ganz gesund? Ich muss meine Reise fortsetzen!«
Der Behmisch legte die Hand auf Yonathans Schulter. »Bald, Kleines. Habe noch ein wenig Geduld und nutze die Zeit, um zu lernen.«
Yonathan nutzte die Zeit. Er lernte viel von Din-Mikkith. Und er fühlte sich wohl, so wohl, dass er die Zeit fast völlig vergaß. Schuld daran waren nicht nur die aufregenden Streifzüge, die er mit Din-Mikkith und Yomi im Regenwald unternahm, sondern auch eine neue Bekanntschaft, die er machte.
Yonathan saß mit dem Rücken am Stamm des gewaltigen Baumes, der Din-Mikkiths Haus beherbergte. Seit dem letzten Regenschauer waren bereits einige Stunden vergangen und der Waldboden war trocken genug, um es sich darauf bequem zu machen. Yonathan sammelte Kraft, wenn man so sein untätiges Dösen bezeichnen wollte, als er plötzlich in denÄsten über sich ein lautes Rascheln vernahm. Träge öffnete er ein Auge und registrierte gerade noch, wie ihm etwas Dunkles in den Schoß fiel. Schnell öffnete sich auch sein zweites Auge.
In seinem Schoß saß ein kleines, mit rotbraunem, flauschigen Fell bedecktes Tier, das ihn aus großen, dunklen Augen anstarrte. In dem Blick des kleinen Flauschwesens lag eine Mischung aus Verwunderung, großer Wachsamkeit und noch größerer Neugier. Yonathan konnte nicht halb so verwundert, wachsam und neugierig dreinschauen.
Da der vom Himmel gefallene Gast sich nicht vorgestellt hatte, übernahm dies Yonathan. »Guten Morgen, du kleiner Kerl. Ich bin Yonathan und wer bist
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