Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok
ahnte, was das bedeutete. Die dunkelgrünen Augen des Behmischs konnten bis ins Mark seiner Knochen dringen und nichts konnte man vor ihnen verbergen.
Schon im nächsten Augenblick wurde der Ausdruck in Din-Mikkiths Augen weicher und er lächelte amüsiert. »Darf ich es sehen?«, fragte er.
Yonathan versuchte erst gar nicht sich dumm zu stellen und so zu tun, als wüsste er nicht, wovon sein grüner Gastgeber sprach. Er lichtete die Falten seines Hemdes und sagte: »Meinetwegen schon, aber ich weiß nicht, ob es damit auch einverstanden ist.«
Es hatte keine Einwände. Selig döste es an Yonathans Brust.
Din-Mikkith hob das Tierchen mit beiden Händen empor und hielt es sich vor das Gesicht. Yonathan wusste, dass der Behmisch wieder seine Fähigkeit einsetzte, mit den Lebenden Dingen zu »sprechen«. »Ich fürchte, das wirst du nicht mehr los«, erklärte er, als er ihm das Pelzbündel wieder zurückreichte.
»Meinst du?«
»Das meine ich«, bestätigte Din-Mikkith. »Es ist ein Masch-Masch; ein noch ziemlich junges – selbst nach euren Maßstäben.«
»Ein Masch-Masch? Das habe ich noch nie gehört.«
»Es gibt nicht viele davon außerhalb des Verborgenen Landes. Masch-Maschs sind verspielte Gesellen, sehr zutraulich und stets für ein Nascherei empfänglich.«
»Das habe ich gemerkt!«
»Ich weiß. Die Nüsse.«
»Allerdings«, warf Yonathan ein, »so zutraulich kam mir der Kleine anfangs gar nicht vor.«
»Das stimmt. Es hat seine Eltern verloren. Ein großer, schwarzer Vogel hat sie getötet. Nur das Kleine da konnte entkommen.« Din-Mikkith sah nachdenklich aus.
»Was geht dir durch den Kopf, Din?«
Din-Mikkith lächelte wieder. »Ach, nichts. Es hat bestimmt nichts zu bedeuten. Ich dachte nur… mir kam dieses Bild des Vogels irgendwie bekannt vor. Aber das ist ja gerade das Problem mit den Lebenden Dingen. Sie drücken sich nie so klar aus. Vieles muss man sich einfach denken.«
Yonathan streichelte das pelzige Waisenkind voller Zuneigung. »Meinst du, Din, ich kann ihn wirklich behalten?«
»Es wird dir wohl gar nichts anderes übrig bleiben. Du solltest dir einen Namen für das Kleine ausdenken.«
Yonathan musste nicht lange nachdenken. »Was bedeutet Tollpatsch in deiner Sprache?«
Din-Mikkith kicherte in sich hinein. »Ein wirklich guter Name!«, pflichtete er Yonathan bei. »Ein Tollpatsch heißt bei uns ›Gurgi‹.«
»Gurgi«, ließ Yonathan das Wort langsam auf der Zunge zergehen. »Ja«, meinte er schließlich. »Das ist ein guter Name!« Lächelnd fügte er hinzu: »Jedenfalls ein sehr lustiger.«
»Ach, übrigens… dein Gurgi ist ein Mädchen.«
Yonathan schaute die Kleine misstrauisch an. Das war ihm irgendwie entgangen. Aber dann grinste er wieder. »Ich glaube, in deiner Sprache macht das gar nicht so viel aus, ob Gurgi nun ein Junge oder ein Mädchen ist, stimmt’s?«
»Stimmt«, quittierte Din-Mikkith. »Aus dir wird noch mal ein richtiges Behmisch.«
Das neue Mitglied der kleinen Gemeinschaft erwies sich tatsächlich als ein würdiger Vertreter seiner Gattung. Wo immer möglich, versuchte Gurgi Leckerbissen zu erhaschen, die – gemessen an seiner Körpergröße – in schier unerschöpflichen Mengen in dem kleinen Leib verschwanden. Tagsüber nutzte der Masch-Masch die Pausen zwischen den Raubzügen durch ausgiebige Verdauungsschläfchen. Besonders nachts, wenn Yonathan schlafen wollte, wurde Gurgi aktiv. Din-Mikkith hatte es anscheinend nicht für so wichtig gehalten zu erwähnen, dass Masch-Maschs Nachttiere sind. Schließlich schien er selbst nie zu schlafen – jedenfalls hatte Yonathan ihn noch nie dabei beobachtet.
Obwohl Gurgi sich überwiegend von pflanzlichen Leckerbissen ernährte, verschmähte sie auch ab und zu eine fette Motte nicht. Din-Mikkith mochte das nicht besonders. Nicht, weil er eine Zuneigung für Motten empfand, sondern weil die Motten nach Sonnenuntergang mit besondererVorliebe die kleine Öllampe umschwirrten, die die Hütte beleuchtete. Ein tollpatschig umherspringendes Pelzbällchen wie Gurgi war nicht eben das, was er sich neben der offenen Flamme in seinem Haus wünschte. Schließlich stellte der Behmisch seine Öllampe in die Asche der Kochstelle, dem einzig feuersicheren Ort im ganzen Baumhaus.
Die Tage vergingen, ohne dass Yonathan es bemerkte. Die neuen Erfahrungen, die Din-Mikkith ihm vermittelte, die Lebendigkeit Gurgis, die gelegentlichen Eifersuchtsszenen Giriths, dem es gar nicht passte seine Streicheleinheiten teilen zu
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