Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok
erkannte er einen dunklen Schatten, der den gesamten Gang ausfüllte.
Ein Erdfresser!, schoss es ihm durch den Kopf. Yonathan hatte schon öfters von ihnen gehört, ihre Existenz aber bezweifelt – harmlose Schauergeschichten, Ausgeburten der Phantasie einsamer Waldläufer. Jeder Mensch würde solchen Wesen, »die einem das Mark aus den Knochen saugen«, aus dem Weg gehen. Und jetzt sah er sich selbst einem solchen Untier gegenüber.
Er verspürte wenig Lust diesem Jäger der Dunkelheit als Mahlzeit zu dienen. Aber was sollte er tun? Wenn er zurück zu dem kreisförmigen Höhlengewölbe rannte, gab es kein Entrinnen mehr. Sich dem Erdfresser gleich hier entgegenzustellen, hätte sicher noch weniger Sinn. So stürzte er in den einzig verbleibenden Gang. Der Erdfresser stieß einen markerschütternden Schrei aus.
Die Jagd hatte begonnen.
Den Stab fest in der Hand, stolperte Yonathan vorwärts. Hinter sich hörte er das Stampfen massiger Beine und ein Scharren von Klauen. Mit diesen Krallen und ihrem diamantharten Gebiss gruben sich die Erdfresser durch härtestes Gestein. Nicht auszudenken, was sie da erst mit menschlicher Haut anstellen konnten!
Schon hörte Yonathan den Atem des Ungeheuers und stellte mit Entsetzen fest, dass der Erdfresser aufholte. Als er sich kurz umwandte, erkannte er einen wuchtigen Schädel mit spitzem Hornzahn. Aus dem Maul troff schaumiger Geifer.
Yonathan gab sein Letztes. Während er weiter durch die Dunkelheit hastete, kam das Schnaufen des Verfolgers immer näher. Der Erdfresser schien nicht zu ermüden, während Yonathan schon die Kräfte verließen.
Als er sich abermals umdrehte, war das Ungetüm nur noch wenige Schritte von ihm entfernt. Wieder brüllte es triumphierend. Yonathan wirbelte hastig herum, streifte mit dem Knauf des Stabes die Felswand, und… im selben Augenblick strahlte ein blauer Blitz durch den Tunnel, Felsbrocken und loses Erdreich flogen mit ohrenbetäubendem Lärm in den Höhlengang hinein.
Als sich der Staub gelegt hatte, sah Yonathan zwischen sich und dem Ungeheuer eine Geröllbarriere. Sie war nicht sehr hoch und der Erdfresser würde sie bald beseitigt haben.
Vor seinen Augen tanzten bunte Lichtflecken, aber Yonathan hetzte weiter.
Je tiefer er in das scheinbar endlose Höhlensystem eindrang, desto stickiger wurde die Luft. Es roch nach Verwesung. Schon bald vernahm er wieder das Stampfen des Untiers. In der Hoffnung die Bestie irrezuführen, stürzte er in einen kleineren Seitengang, der vom Hauptweg im rechten Winkel abzweigte. Der Gestank wurde immer unerträglicher.Yonathan kämpfte gegen eine starke Übelkeit an.
Plötzlich weitete sich der schmale Tunnel zu einer kleinen Kammer. Nur schemenhaft erkannte er, dass der Raum angefüllt war mit Knochen und Tierkadavern.
Offensichtlich war er in die Speisekammer des Erdfressers geraten. Yonathan überwand seinen Ekel, weil schon wieder das schreckliche Schnaufen zu hören war, und suchte Deckung hinter faulenden Kadaverteilen. Er betete zu Yehwoh, dass er ihn aus dieser Situation befreien möge, und gelobte ihm bis zu seinem Lebensende zu dienen, wenn er nur einen Ausweg für ihn fände. Und schon zeigten sich wieder die grünlich leuchtenden Augen des Erdfressers im Höhlengang. Die Bestie war jetzt nahe genug, um sie genau zu erkennen. Das Tier hatte schwarze, schuppige Panzerhaut. Vom Rücken bis hinunter zur Spitze des kurzen breiten Schwanzes reihten sich Hornplatten aneinander. Die kurzen, stämmigen Beine wurden von mächtigen Pranken mit messerscharfen Klauen getragen.
Die Bestie schaute sich um und reckte die Nase, um Yonathans Witterung aufzunehmen. Der Gestank war aber offensichtlich selbst für den Erdfresser zu stark, um noch irgendetwas anderes zu riechen. Yonathan wagte kaum zu atmen, als das Tier sich aufrichtete, um den Raum besser überblicken zu können. Absolute Stille. Nur das grüne Glühen suchender Augen.
Schon dachte Yonathan, der Erdfresser könnte es sich anders überlegen, da begann das Untier sich wie wild durch Knochen und Fleischteile zu wühlen.
Yonathan umklammerte den Stab mit aller Kraft. Irgendetwas musste geschehen, wollte er nicht in den Klauen dieses Monstrums enden – und zwar sofort! Er fühlte ein Kribbeln in der Hand. Verwundert blickte er auf den Stab, um den sich eine leuchtend blaue Aura ausbreitete. Er schien zu vibrieren. Wollte der Stab auf sich aufmerksam machen? Nein, das war absurd!
Oder vielleicht doch nicht? Immerhin hatte er eben erst die
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