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Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok

Titel: Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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hörte Yonathan noch einmal das Bersten des Großmastes der Narga, ein Geräusch, das nur er wahrnahm. Warum sollte es nicht noch einmal geschehen?, ging es ihm durch den Kopf – und er warf sich mit aller Kraft gegen den Stein, so, wie er sich erst vor wenigen Stunden in seinen Gedanken gegen den Mast des Schiffes Sethurs gestemmt hatte.
    Da ertönte ein mahlendes Geräusch – etwas geschwächt, weil der Sockel des Felsens bereits im Meerwasser stand, aber doch deutlich vernehmbar wie das Reibgeräusch eines Mühlsteins. Der Felsfinger drehte sich um seine eigene Achse, dann stürzte er mit dumpfem Tosen ins Wasser und entschwand den Blicken.
    Yomi stammelte fassungslos: »Du musst ein Geist sein! Du treibst dein Spiel mit mir. Erst lässt du mich Todesängste ausstehen und dann drückst du diesen Felsen beiseite, als wäre er nur eine klemmende Tür.« Am liebsten wäre er davongelaufen, aber der schmale Vorsprung, an dem sich beide festklammerten, erlaubte ihm das nicht.
    »Rede keinen Unsinn«, entgegnete Yonathan. »Ich bin ebenso wenig ein Geist wie du. Und die Kraft, die den Felsen fortbewegen konnte, ist nicht meine Kraft. Ich habe sie mir nur geliehen – sozusagen. Es war Yehwohs Macht.«
    »Yehwohs Macht? Was meinst du damit?«
    »Er gab mir diesen Auftrag. Und wegen dieses Auftrages unternehme ich diese Reise.«
    »Was für ein Auftrag?«
    »Den Stab Haschevet zum Richter Goel zu bringen.« Yonathan biss sich auf die Lippe. Hoffentlich hatte er jetzt nicht zu viel gesagt.
    »Du meinst… da in deinem Köcher befindet sich Haschevet? Der Richterstab aus den alten Legenden? Der…?«
    »Genauso ist es«, antwortete Yonathan, ein wenig verärgert über sich selbst. »Aber wenn wir noch lange hier stehen, dann sind wir bald stumm wie die Fische. Jetzt lass uns erst einmal durch das Loch hier schlüpfen. Über alles andere können wir später sprechen.« Er steckte seinen Oberkörper in den Spalt, der sich etwa drei Fuß über dem von Wasser bedeckten Grund öffnete und nach oben hin breiter wurde. Dann zog er ihn
    wieder zurück und sagte zu Yomi: »Ach übrigens: Danke.«
    Yomi schaute ihn fragend an.
    »Dass du mir das Leben gerettet hast«, fügte Yonathan hinzu.
    »Bedanke dich nicht bei mir«, sagte Yomi lächelnd. »Mir scheint, derjenige, der eben den Felsen vom Fleck bewegte, ist derselbe, dem wir beide unser Leben zu verdanken haben.«
    Yonathan nickte. »Trotzdem. Ich danke dir, Yo.«
    Statt einer Antwort schob Yomi seinen Freund zum Felsspalt. Yonathan schlüpfte mit seinem provisorischzusammengeflickten Rucksack durch die Öffnung. Yomis lange, schlaksige Gestalt folgte ihm auf dem Fuße.
    Die beiden Freunde fanden sich in einer Felsenhalle wieder, die wesentlich größer war als die Grotte, aus der sie kamen. Selbst als sich ihre Augen an die fast vollständige Dunkelheit gewöhnt hatten, konnten sie die wahren Ausmaße dieser Höhle nicht erfassen. Was jedoch ihren Blicken verborgen blieb, konnten sie umso deutlicher hören: Auch diese Höhle war mit Wasser gefüllt. Jedoch wurde dieser von Fels eingeschlossene See von einem gewaltigen Wasserfall gespeist. Aus einer Höhe, die sich nicht ermessen ließ, stürzte das Wasser mit gewaltigem Tosen in den See. Die Luft war gesättigt von Millionen feinster Wassertröpfchen. Unerwartet schlug ihnen dampfende Schwüle aus dem Felsendom entgegen.
    »Jetzt höre ich das Rauschen auch!« Yomi musste brüllen. Jede andere Art sich verständlich zu machen wäre vom Donner der herabstürzenden Wassermassen verschluckt worden.
    Yonathan kletterte vorsichtig an den Rand des Sees hinab und stellte zu seiner Befriedigung fest, dass das Wasser nicht salzig war. Der Wasserfall musste aus einem Fluss stammen, der sich auf seinem Weg ins Meer durch das Felsmassiv des Ewigen Wehrs hindurchgearbeitet hatte. Das Wasser des Flusses war so warm, dass man es kaum spürte, wenn man seine Hand hineintauchte. Erst jetzt bemerkte Yonathan, wie durstig er war. Seit seinem Erwachen hatten sich die Ereignisse überschlagen und der Gedanke an seine körperlichen Bedürfnisse war ihm noch nicht zu Bewusstsein gekommen. Vorsichtig trank er von dem Nass, das ihm trotz seiner lauwarmen Temperatur wunderbar erfrischend erschien.
    Yomi kniete neben ihm nieder und tat es ihm gleich. »Was machen wir nun?«, schrie er.
    »Wir müssen versuchen dem Lauf des Flusses zu folgen«, brüllte Yonathan zurück. »Wenn es uns gelingt die Wand dort drüben zu ersteigen, finden wir vielleicht

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