Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok
hier auf den Fels gezogen und das Wasser aus dir herausgedrückt habe, ist die Lichtöffnung dort vorne immer kleiner geworden. Das Wasser steigt unaufhörlich. Wir sollten bald etwas unternehmen, sonst werden wir ersäuft wie zwei Ratten, die zu spät das sinkende Schiff verlassen.«
Diese eindringliche Schilderung ihrer Situation brachte Yonathan endgültig in die Realität zurück. »Mir wäre wohler, wenn du einen Vorschlag hättest, was wir unternehmen können«, krächzte er heiser. »Sollen wir vielleicht durch das Loch da vorne wieder auf das offene Meer hinausschwimmen und uns einen schönen flachen Sandstrand suchen? Du kennst diese Küste wahrscheinlich besser als ich. Man erzählt sich, dass das Verborgene Land niemanden zu sich heranlässt. Es ist sowieso ein Wunder, dass wir bei all den Klippen hier genau in diese Grotte getrieben wurden.«
Yonathan war ratlos. Auch Yomi zuckte hilflos mit den Achseln. Ihre Lage sah wirklich nicht rosig aus.
»Was ist denn das da für Zeug?«, fragte Yonathan schließlich, auf einige Gegenstände deutend, die um ihn herum verstreut lagen.
»Das gehört zur Fracht der Weltwind. Die Strömung hat es mit uns zusammen hier in die Höhle gespült. Vielleicht können wir etwas damit anfangen.«
Yonathan stellte sich auf die Beine und musste erschrocken feststellen, wie weich seine Knie waren. Halb gehend, halb kriechend bewegte er sich über die schräge Felsplatte und musterte das Strandgut: einige Kisten, ein Fass, ein Tau und ein paar andere Dinge. »Zu wenig, um daraus ein Floß zu bauen«, stellte er enttäuscht fest.
Yomi nickte nur.
In diesem Moment, die Gegenstände von der Weltwind vor Augen, erinnerte sich Yonathan an den Stab Haschevet. Hastig griff er über die Schulter, dorthin, wo sich der Stab befinden musste. Er war weg!
»Wenn du deinen Köcher mit dem Stab suchst, der ist hier«, bemerkte Yomi ruhig. Der blonde Seemann war zwar lang und schmal, aber doch immerhin breit genug, um die längliche Tasche aus Walhaut mit seinem Körper verdecken. Deshalb hatte Yonathan sie nicht sehen können, als er erwachte. Mit hörbarem Aufatmen nahm er das Behältnis aus Yomis Händen entgegen und warf es sich sogleich über die Schulter.
»Jetzt bist du wohl ungeheuer erleichtert«, stellte Yomi fest.
»Das kannst du mir glauben!«, bestätigte Yonathan. »Jetzt wird bestimmt alles gut.«
»Was ist nur so wichtig an diesem Stab, dass du selbst in so einer Situation alles um dich herum…«
»Still!«, unterbrach Yonathan Yomis Frage. »Ich glaube, ich höre etwas.«
Yomi lauschte angestrengt. Dann zuckte er die Achseln. »Also, ich kann nichts hören.«
»Es ist ein Rauschen«, sagte Yonathan und balancierte suchend auf der glitschigen Felsplatte herum.
»Ein Rauschen?« Yomis Frage klang, als zweifle er an Yonathans Verstand. »Aber das Meer rauscht doch die ganze Zeit – ununterbrochen. Ist dir das noch nicht aufgefallen?«
»Natürlich ist mir das aufgefallen«, erwiderte Yonathan unwillig, weil Yomi seine Konzentration störte. »Was ich meine, ist etwas anderes. Nicht dieses… Branden, vielmehr ein… ein Rauschen. Wie ich schon sagte: Es ist ein ständiges, ununterbrochenes Rauschen.«
»Ich hör nichts«, brummte Yomi kopfschüttelnd. Mit besorgtem Blick verfolgte er das Treiben seines Freundes.
»Da oben, es muss von da oben kommen.« Yonathan begann, ohne dass Yomi ihn zurückhalten konnte, den steiler ansteigenden Fels emporzukrabbeln. Prompt verlor er den Halt und rutschte auf dem nachgebenden Geröll dem Wasser entgegen. Ohne Zweifel hätte er wieder ein Bad genommen, wenn Yomis kräftig zupackende Hand ihn nicht im letzten Moment am Arm erwischt hätte.
»Was soll das?«, fragte Yomi vorwurfsvoll. »Du wirst dir noch wehtun.«
»Da oben ist etwas«, sprudelte Yonathan hervor, ohne auf den festen Griff seines Freundes zu achten, der wirklich wehtat. »Ich habe das Geräusch ganz deutlich gehört.
Vielleicht kommt man von dort oben tiefer in die Höhle hinein und wir können uns vor der ansteigenden Flut retten.«
Obwohl noch immer nicht überzeugt, sah Yomi doch ein, dass in ihrer ausweglosen Situation jeder Versuch besser war, als tatenlos herumzusitzen. Mit gemeinsamen Kräften beförderten sie eine Menge Geröll über die schiefe Ebene ins Wasser hinab. Schon bald stießen sie auf festeren Grund und konnten sich näher zu der Stelle vorarbeiten, wo die Wand der Grotte ein Stück weit senkrecht in die Höhe stieg.
Oben angekommen
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