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Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok

Titel: Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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einen Weg, der uns zu der Stelle führt, wo das Wasser in den Berg eintritt.«
    Yomi nickte. Es blieb ihnen sowieso nichts anderes übrig. Durch den Spalt, der sich fahl von dem umgebenden Fels abhob, schwappte bereits das Meerwasser aus der benachbarten Grotte herüber. Wer konnte wissen, wie hoch das Wasser in dieser Höhle steigen würde?
    Die beiden Gefährten umrundeten das Ufer des verborgenen Sees und gelangten so zu der etwa einen Steinwurf weit entfernten Felswand, von der der Wasserfall herabstürzte. Yomi band ein Seil um seine und um Yonathans Hüfte. Dann begann der Aufstieg. Die Kraft Haschevets schärfte Yonathans Sinne. Dadurch konnte er sich besser orientieren als Yomi, der halb blind hinter ihm hertastete.
    Während ihres langsamen Aufstieges die nasse und glitschige Felswand empor verloren sie die Zeit aus dem Sinn. Manchmal glitt einer der beiden aus und es grenzte an ein Wunder, dass sie sich immer wieder fangen konnten und sich nicht gegenseitig in die Tiefe rissen, besonders Yomi, der sich ganz auf seinen Tastsinn verlassen musste. Yonathan erinnerte sich daran, wie er Yomi auf den Ausguck der Weltwind hatte klettern sehen. Der ungelenk wirkende, lange Seemann war sehr geschickt.
    Endlich konnten sie sich auf einen schmalen Felssims hinaufziehen. Unmittelbar neben ihnen wälzte sich das Wasser des Flusses in die Tiefe. Einige Zeit lagen sie nur da und sammelten schwer atmend neue Kraft. Beide waren bis auf die Haut durchnässt. Wenigstens froren sie nicht. Yonathan hatte schon von Bergen gehört, die Feuer spuckten, und von heißen Quellen, die in der Nähe solcher Berge ins Freie traten. Dies war wohl ein solcher Fluss. Er dachte daran zurück, wie er nach seinem Sturz von der Weltwind versucht hatte in der kalten See nicht unterzugehen, und wie er dann gespürt hatte, dass das Wasser, in dem er trieb, warmer wurde. Dieser Fluss musste irgendwo in der Nähe der Grotte ins Meer münden. Nur so ließ sich auch erklären, dass diese zweite, größere Höhle nicht vom ständigen Zustrom des Wasserfalls gefüllt werden konnte. Es musste einen verborgenen Abfluss geben.
    Von nun an würde es schwerer werden. Der Fluss nahm seinen Weg – wie Yonathan gehofft hatte – durch einen in den Fels gespülten Tunnel. Neben dem Wasserlauf war genug Platz, um trockenen Fußes weiter in den Berg vorzudringen, vielleicht deshalb, weil jetzt im Herbst das Flussbett nicht viel Wasser führte. Aber wie sollten sie sich orientieren? Hier, wo völlige Dunkelheit herrschte, konnte nicht einmal Haschevets Macht helfen. Wenn nicht meinen Augen, dachte Yonathan, dann vielleicht meinem Geist. Zwar wusste er selbst nicht genau, wie oft er sich schon unbewusst der Macht des Stabes bedient hatte, aber er erinnerte sich noch gut an Navrans Schilderung von dem Wandernden Sinn und der Kraft der Bewegung: wie das Koach den Stabträger in die Lage versetzen konnte Dinge wahrzunehmen, die sich an anderen Orten befanden, oder allein durch den Willen Gegenstände zu bewegen. Er dachte an den Mast der Narga und den Felsen in der Grotte. Konnte man diese Fähigkeiten nicht auch dazu benutzen, sich in einem dunklen Höhlengang voranzutasten?
    Yonathan überlegte, ob er das Koach nicht missbrauchen würde. Andererseits, so sagte er sich, diente sein Vorwärtskommen ja der Erfüllung von Yehwohs Plänen und dieser Gedanke überzeugte ihn schließlich.
    »Bleib dicht bei mir, Yo«, rief er über die Schulter.
    »Was hast du vor?«
    »Wart’s ab.«
    Yonathan griff hinter sich, öffnete den Köcher, in dem sich Haschevet befand, und zog den Stab hervor. Als seine Hände das Holz Haschevets berührten, spürte er ein warmes Kribbeln, als strahle der Stab Zustimmung aus. Yonathan konzentrierte sich. Er schloss die Augen und versuchte sich das vor ihm liegende Flussbett vorzustellen.
    Zunächst blieb alles schwarz. Er bemühte sich seinen Geist auszusenden wie Wellen, die ein ins Wasser geworfener Stein verbreitet. Endlich spürte er Widerstand. Sein sich behutsam vortastender Sinn stieß an Tunnelwände, tauchte in das Wasser des Flusses und drang tiefer in den vor ihm liegenden Gang ein. Hätte Yomi ihn in diesem Augenblick gefragt, was er spüre, er hätte nicht zu antworten gewusst. Er konnte nichts sehen und doch war ihm, als sei die Umgebung in blaues Licht getaucht; er konnte nichts hören, aber doch vermeinte er das Säuseln von Wind zu hören, das von jeder Unregelmäßigkeit des Felsenganges verändert wurde; auch unter seinen

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