Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok
nur nützlich sein.
So erzählte Yonathan die ganze Geschichte, beginnend von seinem Sturz in die Höhle des Erdfressers, wo er den Stab Haschevet gefunden hatte, über den Besuch Benels und den Auftrag, bis hin zu ihrer beider Zusammentreffen auf der Weltwind – nur bei der Beschreibung des Koach blieb er ungenau, sprach nur von einer übernatürlichen Macht, die der Stab seinem Träger verleihe.
Yomi hatte zugehört, ohne seinen Freund zu unterbrechen. Jetzt schlug er vor: »Meinst du nicht, wir könnten den Wunderbeutel Goels öffnen und schauen, ob sich darin etwas zum Essen findet? Ich bin nämlich ungeheuer hungrig.«
Yonathan lächelte. So sehr seine Geschichte Yomi ergriffen hatte, so schnell kam er wieder auf die elementaren Dinge zurück. Yomi hatte viel von einem Kind. Immer sagte er, was er fühlte und dachte. Yonathan erschien alles verdreht. Er, der nun bald Vierzehnjährige, musste eine Aufgabe erfüllen, die jedem Erwachsenen alles abverlangt hätte und sein beinahe zehn Jahre älterer Gefährte war in vielen Dingen wie ein Halbwüchsiger. »Wenn ich’s mir recht überlege: Ich glaube, wir können es wagen den Beutel zu öffnen.«
Er löste den kleinen Lederbeutel von seinem Gürtel und fingerte einige Zeit an dem Knoten des Verschlussbandes herum. Endlich ließ er sich öffnen. Vorsichtig steckte er dieNase in die Öffnung und roch den Duft von frischem Käse und Brot. Es war ein kaum zu beschreibendes Gefühl. In dem Moment, in dem er das kleine Stück Käse zerbrach, fühlte sich jede der beiden Hälften so groß an wie zuvor das Ganze. Mit Brot und Butter verhielt es sich genauso.
»Und du bist sicher, dass das die Speisen sind, die du vor über einer Woche in dem Säckchen verstaut hast?«, fragte Yomi etwas misstrauisch, als er seine Ration in der Hand hatte.
»Ganz sicher«, sagte Yonathan kauend und stopfte sich den nächsten Happen in den Mund.
»Ob wir wohl auch etwas von der Milch aus deinem Fläschchen nehmen können?«
»Das dürfen wir nicht«, sagte Yonathan. »Wir haben hier Wasser genug. Der Beutel und die Flasche sind nur für Zeiten der Not gedacht. Du würdest dir ganz schön den Magen verderben, wenn du jetzt aus dem Fläschchen trinken würdest.«
»Jetzt sollten wir ein wenig schlafen«, empfahl Yomi, nachdem sie ihr Mahl beendet hatten. Seine Stimme klang nunwieder bestimmt, wie die des Älteren, Erfahreneren, der sich für den Jüngeren verantwortlich fühlte. Yomi hatte ihn vor dem Ertrinken gerettet und diese Tatsache verband beide enger, als sie es sich bisher klargemacht hatten.
»Ich glaube, du hast Recht«, stimmte Yonathan dankbar zu.
Bald hatten sie sich aus den mitgebrachten Decken ein einigermaßen bequemes Nachtlager bereitet. Zwar waren Kleidung und Wolldecken noch immer klamm, aber Müdigkeit und Erschöpfung ließen sie darüber hinwegsehen. Nach wie vor umgab sie die feuchtheiße Luft eines Dampfbades, sodass sie nicht froren. Begleitet von stetigen Tropfgeräuschen und vom Gurgeln des Flüsschens fielen sie schon bald in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
Ein Schrei ließ Yonathan jäh erwachen. Er fuhr hoch und griff nach dem Stab, der neben ihm lag. »Yomi, was ist los?«, rief er.
»Yonathan, hilf mir! Schnell!«, ertönte Yomis verzweifelter Ruf. Seine Stimme klang entfernt, nicht von dort, wo Yomi sein Lager bereitet hatte. Etwas schlug peitschenartig auf das Wasser des Teiches.
Es vergingen einige Herzschläge, bis es Yonathan gelang seinen Verstand zur Ruhe zu zwingen. Mühsam gelang es ihm die Dunkelheit zu durchdringen und im bläulichen, pulsierenden Bewusstsein des Wandernden Sinns konnte er seine Umgebung erkennen.
Was er sah, ließ seinen Atem stocken. Etwas Großes, Glitschiges hielt Yomis linkes Bein umklammert und zerrte diesen näher und näher an das Wasser. Dieses Wesen war mindestens so groß wie sein schreiendes und zappelndes Opfer. Es ähnelte einer Schlange, die einen großen Gegenstand verschluckt hatte: In der Mitte dick und kugelförmig, hatte es an beiden Seiten spitz zulaufende Krokodilschwänze, die ihm aus dem Kopf herauswuchsen.
Obwohl seine Haut glatt und schleimig wie die eines monströsen Blutegels war, gelang es dem Untier, den sich aus Leibeskräften wehrenden Yomi immer weiter mit sich zu ziehen. Schon befand sich Yomis gefangenes Bein im Wasser, ebenso wie die Hälfte dieses Bergegels.
Nur noch eines konnte das Leben des Freundes retten. Den Stab Haschevet hoch erhoben, eilte Yonathan schreiend zum
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