Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok
Kampfplatz. Das andere Ende der Bestie fuhr züngelnd aus dem aufgewühlten Wasser, um auch ihn bei den Beinen zu packen. Aber Yonathan war schneller. Mit aller Kraft stieß er die Spitze des Stabes mitten in die kugelförmige Verdickung des Tieres. Fast wäre er vornübergestürzt, so leicht drang Haschevet in den Kopf des Feindes ein. Hinter den geschlossenen Augenlidern gewahrte Yonathan einen grellen, blauen Blitz. Darauf ging ein kurzes, krampfhaftes Zucken durch den Körper des Wesens und es sank schlaff in sich zusammen. Yonathan warf den Stab an Land und half Yomi aus dem Wasser. Nun begann der Teich zu kochen; seine Oberfläche brodelte und der leblose Kadaver des Bergegels verschwamm zu einer breiigen Masse und löste sich in viele tausend Partikel auf, die von der leichten Strömung des Gewässers weggetragen wurden. Der Feind hatte sich in Asche aufgelöst.
Es herrschte wieder Ruhe in der Felsenhalle, als wäre nichts geschehen. Nur der schwere Atem der Freunde und das leise Plätschern des Wassers hallten eigenartig verstärkt von den Wänden der Höhle wider.
»Was war das?«, keuchte Yomi.
»Keine Ahnung!«, erwiderte Yonathan atemlos. »Ich will auch gar nicht darüber nachdenken. Wie geht es dir? Kannst du laufen?«
Er untersuchte Yomis Bein und stellte erleichtert fest: »Du wirst eine Menge blauer Flecken haben, die dich noch lange an dieses Abenteuer erinnern. Das Biest scheint voller Saugnäpfe gewesen zu sein. Zum Glück hat deine Hose verhindert, dass es dir die Haut herunterreißen konnte.«
»Ja, zum Glück«, pflichtete Yomi trocken bei und fügte hinzu: »Jetzt muss ich dir wohl danken, Yonathan.«
»Was gibt’s da zu danken? Dazu sind Freunde doch da – oder? Es wäre mir trotzdem recht, wenn wir es uns nicht zur Gewohnheit machten uns mehrmals täglich das Leben zu retten.«
Sie brachen bald wieder auf. Das knappe Marschgepäck war schnell zusammengeschnürt und sie verließen den Felsendom, indem sie weiter dem Flusslauf folgten. Eine Weile stapften die beiden Wanderer wortlos durch den scheinbar endlosen Tunnel, Yonathan mit seinem Wandernden Sinn voran und Yomi hinterdrein. Ihr Schweigen war nun von anderer Art. Als sie vom Wasserfall aufgebrochen waren, hinderte die Erschöpfung und der Eindruck der vorausgegangenen Ereignisse sie daran, sich zu unterhalten. Jetzt war es die Gewissheit, dass sie nicht die einzigen Lebewesen in dieser unterirdischen Felsenwelt waren. Angstvoll lauschten sie, ob sich neben dem Dahinfließen des Wassers und dem monotonen Geräusch ihrer Schritte nicht vielleicht noch anderes hören ließ. Der Gedanke, ein weiteres Mal von einem solchen Wesen wie dem Bergegel angegriffen zu werden, machte sie sehr vorsichtig und schärfte ihre Sinne.
Nachdem sie lange Zeit bergan marschiert waren, legten sie eine kurze Rast ein. Yomi sagte flüsternd, als fürchte er, ein weiteres Höhlenwesen aufzuschrecken: »Seit unserem Aufbruch vorhin denke ich darüber nach, ob etwas Wahres ist an der alten Dichtung über das Verborgene Land. Kennst du sie?«
Yonathan bestätigte: »Ja, ich erinnere mich an die Worte:
Es entzieht sich des Menschen stetigem Suchen,
Das Land, welches das Verborgene man nennt.
Lässt wachen die Sieben, dürfen nimmermehr ruhen,
Die Hüter, die niemand gesehen und doch jeder wohl kennt.
Zwei Augen, die brennen in ewigem Feuer,
Das kalt ist wie Eis und doch jeden verzehrt;
Zwei Ohren, die lauschen in verlass’nem Gemäuer
Verwandeln zu Stein, wessen Drängen sie stört;
Auch Nüstern, die blasen mit eisigem Hauch,
Die schmelzen den Sucher in feuriger Glut.
Und schließlich der Rachen, erfüllt seinen Bauch,
Die Neugier bestraft er mit tödlicher Wut.
Das war’s doch – oder?«, fügte er hinzu.
»Ja, genau. Erstaunlich, wie gut du es kennst. Was hältst du davon – ich meine, von diesen sieben Wächtern?«
»Möglicherweise wollte der Dichter nur damit ausdrücken, wie schwierig es ist das Verborgene Land zu betreten.«
»Mag sein, vielleicht steckt aber auch mehr dahinter. Glaubst du, wir könnten einem dieser Wächter über den Weg laufen?«
»Was nützt es, sich darüber den Kopf zu zerbrechen? ›Lass uns den Augenblick bewältigen, auf dass der nächste reicht uns seine Hand‹, sagt ein altes Sprichwort. Wir sollten nicht zu weit nach vorne blicken. Sonst könnte es passieren, dass wir den Stein vor unserem Fuß nicht sehen.«
»Du hast wohl Recht«, stimmte Yomi zu. »Warten wir’s
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