Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok
Rechtsbiegung. So war es unmöglich, die eigentliche Ursache für das grüne Licht zu erkennen. Vorsichtig und leise schlichen sich Yonathan und Yomi bis zu der Biegung vor. Gleichzeitig lugten sie um die Ecke und gleichzeitig klappten ihre Kinnladen herab. Staunend starrten sie auf das Schauspiel, das sich ihren Augen bot: Vor ihnen lag ein See aus grünem Licht.
Behutsam näherten sie sich dem Rand dieses Gewässers – oder was immer es sein mochte. Seine Oberfläche war spiegelglatt. Das Gewölbe, in dem er ruhte, wurde ganz von ihm ausgefüllt; er mochte etwa dreihundert Fuß lang und ungefähr halb so breit sein. Es sah aus wie eine gigantische Glasplatte, unter der ein grünes Feuer brannte. Dieses Feuer jedoch zuckte nicht lebendig auf und nieder, wie Flammen es getan hätten. Vielmehr bewegten sich hellere und dunklere Schlieren in stetigem Wechsel durch den See. Es war gespenstisch und erinnerte an die vielfach verschlungenen Bewegungen in einer Schlangengrube, gemächlich, aber tödlich für den, der seinen Fuß hineinsetzte.
»Glaubst du, wir können hindurchwaten? Es scheint nicht besonders warm zu sein.« Yomi war selbst nicht von dem überzeugt, was er sagte. Er folgte nur dem inneren Drang die bedrückende Stille zu durchbrechen.
»Zwei Augen, die brennen in ewigem Feuer, das kalt ist wie Eis und doch jeden verzehrt«, zitierte Yonathan abwesend.
»Was ist mit dir, Yonathan?«, fragte Yomi. »Glaubst du, das hier hat etwas mit der alten Dichtung über die sieben Hüter des Verborgenen Landes zu tun?«
Yonathan schien wieder zu sich zu kommen. »Egal, ob das da nun die Augen sind oder nicht, einfach hindurchgehen können wir nicht. Da, pass mal auf!«
Er hob einen größeren Stein auf und schleuderte ihn mit kräftigem Schwung auf den See hinaus. Noch bevor der Stein die Oberfläche ganz erreicht hatte, schoss die grüne Flüssigkeit empor, zäh wie Honig, aber blitzschnell wie die Zunge eines Frosches, die nach einer Fliege schnappt, umschloss den Stein und zog ihn mit sich hinab. Sofort glättete sich die Oberfläche des Sees wieder und an der Stelle, wo der Stein verschwunden war, stieg eine kleine Dunstwolke auf, die sich schnell verflüchtigte. Nur kurz war ein leises Zischen zu vernehmen, wie von einem Wassertropfen, der in eine heiße Pfanne fällt und sich in Dampf auflöst.
»Hast du Lust da durchzulaufen, Yo?«
Yomi schauderte. »Woher wusstest du das?«
Yonathan zuckte die Achseln. »Ich habe nur gespürt, dass dieser See irgendetwas Lauerndes an sich hat. Wir müssen sehr, sehr vorsichtig sein.«
Beide starrten noch immer gebannt auf die Stelle, wo der Stein versunken war.
»Und was sollen wir jetzt tun?«, fragte Yomi. »Da drüben geht’s hinaus.« Er deutete auf einen kaum erkennbaren schmalen Streif am anderen Ende des Sees, der sich dunkel von den grünlich schimmernden Felswänden abhob.
Yonathan stieß einen Schreckensruf aus. Während die beiden Freunde den Stein beobachtet hatten, war die zähe Masse des Sees auf sie zugekrochen und hatte sie nun ganz eingeschlossen.
»Beweg dich nicht!«, mahnte Yonathan.
Yomi verlor vor Schreck fast das Gleichgewicht, als er den sich enger und enger um sie schließenden Kreis der grünen Flüssigkeit bemerkte. »Was jetzt?«, flüsterte er in Panik.
Die Zeit zum Nachdenken war knapp. Aber Yonathan zwang sich zur Ruhe und spürte sofort die Gegenwart eines fremdartigen Bewusstseins. Seltsamerweise schien es nicht wirklich bösartig zu sein. Anders als bei der unleugbaren Feindseligkeit, die von Zirah, dem Vogel Kaldeks, ausgegangen war, schien der Geist dieser Höhle von gleichgültiger Gelassenheit beseelt.
»Ich spüre keine Feindseligkeit«, flüsterte Yonathan erstaunt.
»Ein Austernfischer hat auch nichts gegen seine Beute«, knurrte Yomi, »im Gegenteil: Er hat sie zum Fressen gern.«
»Wir sind keine Austern, Yo!«
»Aber wir werden genauso schnell verschluckt werden, wenn uns nicht sofort was einfällt.«
»Lass mich mal was ausprobieren.«
Während Yomi verzweifelt aufstöhnte, nahm Yonathan den Stab Haschevet, der bisher locker auf seiner Schulter gelegen hatte, in beide Hände und tauchte ihn langsam in die Masse, die schon fast seine Zehenspitzen erreicht hatte. Nur den Bruchteil eines Herzschlages widerstand das grüne Etwas dem Richterstab, dann zuckte es wabernd zurück, wie eine Hand, die sich an einem Kochtopf verbrannt hatte. Wieder zischte es, eine ekelhaft riechende Rauchwolke stieg empor. Vor dem Stab
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