Nesthäkchen 01 - Nesthäkchen und ihre Puppen
niedlichen Häuschen und einem roten Kirchlein, gerade solches, wie Annemarie es daheim in ihrem Baukasten hatte.
Nun kam eine Wiese mit wunderschönen roten, blauen, weißen und gelben Blümchen - ei, wer da doch pflücken könnte! Aber die Eisenbahn ratterte unbekümmert um Klein-Annemaries Wunsch weiter - ratteratta - ratteratta - puff - puff - puff - ratteratta - immer weiter.
»Ach, die vielen, vielen Schäfe dort drüben!« Die Kleine klatschte vor Freude in die Hände.
»Das ist eine Schafherde«, belehrte sie Fräulein, »und der alte Mann mit dem langen Stab ist der Hirt.«
»Annemarie, du bist ja selbst ein Schaf, es heißt doch nicht Schäfe, sondern Schafe!« hielt auch Klaus für nötig, das Schwesterchen zu belehren. Abgesehen von dieser Liebenswürdigkeit aber verhielt er sich recht brav, da er fast die ganze Zeit über mit Futtern beschäftigt war.
Gerda, die zuerst ihres Lebens nicht recht froh wurde, weil Klaus ihr gegenübersaß und sie aus seinen braunen Augen spitzbübisch anblinzelte, verlor allmählich ihr Mißtrauen. Der Junge war ja heute gar nicht zum Wiedererkennen artig.
Aber die Puppe hatte sich zu früh gefreut. Als sie jetzt alle drei einträchtig miteinander aus dem Fenster schauten, fragte Klaus, dem die Äcker und Wälder allmählich langweilig wurden, das Schwesterchen mit treuherzigem Gesicht: »Du Annemarie, wollen wir mal ,Wind' spielen?«
»Au ja, Kläuschen!« Auch Annemarie hatte nun genug von den Wiesen und Feldern, die alle ziemlich gleich aussahen.
»Hui« - machte Klaus pfeifend, und noch einmal »hui« - da flog Puppe Gerdas Strohhütchen aus dem Fenster mitten in den roten Mohn hinein.
»Mein Hütchen - mein schöner Hut!« schrie Gerda, oder war es Annemarie gewesen? »Der Zug soll halten, du sollst nicht weiterfahren, du oller Zug!« Bitterlich weinte die Kleine.
Die Eisenbahn aber ratterte weiter, unbekümmert um Annemaries und Gerdas Jammer - ratteratta - ratteratta - puff - puff - puff - ratteratta - immer weiter. Und es hörte sich sogar an, als ob sie Klein-Annemarie noch obendrein auslachte. Oder war das etwa der ungezogene Klaus, der sich ins Fäustchen lachte?
Als das Fräulein ihn ausschalt, hatte er noch einen großen Mund: »Was plärrt denn das dumme Ding? Sie hat doch selbst gewollt, daß wir Wind spielen!«
Aber da Fräulein Lena mit ernstem Gesicht sagte: »Du, es geht heute noch ein Brief an Mutti ab, Klaus«, da wurde er recht kleinlaut und mit einem Mal wieder ein wahrer Musterknabe.
Gerda bekam eine Zipfelmütze aus Nesthäkchens Taschentuch.
Annemarie aber beschäftigte sich jetzt damit, eine in der Ecke sitzende Dame, welche die Augen geschlossen hatte, zu betrachten.
»Die Tante schläft!« teilte sie Fräulein Lena mit lauter Stimme mit.
»Ssst« - machte das Fräulein und legte mahnend den Finger auf den Mund.
Die Dame bewegte sich unruhig, machte aber die Augen nicht auf.
»Die Tante schläft noch immer«, erklang es nach einem Weilchen zwar etwas gedämpfter, aber doch noch so laut, daß das Fräulein aufs neue den Finger auf den Mund legen mußte.
Die Schlafende hatte jetzt ihre Lippen geöffnet, sanfte Schnarchtöne entquollen ihnen.
»Chch - chchch - chchchch - pfff - pfff-« das klang beinahe so schön wie die Eisenbahnmusik. »Die Tante schnarcht!« flüsterte Nesthäkchen in heller Begeisterung.
Aber als jetzt ein ganz besonderes grunzendes chchch - chchchch - pff - pfff - einsetzte und der Zug auch gerade dazu »ratteratta- puff- puff« - machte, da sahen sich Klaus und Annemarie zuerst erschrocken an, und dann lachten sie plötzlich beide laut los.
Die Dame fuhr zusammen und riß die Augen auf.
»Seht ihr, nun habt ihr die Dame gestört«, sagte Fräulein Lena ärgerlich.
»Verzeihen Sie, gnädige Frau.«
»Das macht ja nichts«, lächelte die Dame freundlich und schloß aufs neue die Augen.
»Weißt du was, Annemariechen, schlafe du auch ein bißchen«, schlug Fräulein vor und nahm Nesthäkchen, das sich die Augen rieb, auf den Schoß.
»Nein, ich kann nicht schlafen, sonst kommt der alte Wind wieder und weht am Ende meine Gerda aus dem Fenster.« Die Kleine warf einen vielsagenden Blick auf Klaus.
»Ich passe schon auf«, beruhigte Fräulein Lena das von der Reise ermüdete Kind. Da klappten Annemaries Augenlider zu und nach einem Weilchen auch die von Fräulein Lena. Nur Puppe Gerda schlief nicht, die saß aufrecht in ihrer Ecke und hielt Wache.
Und bald war man da. Das Fräulein setzte Annemarie das
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