Nesthäkchen 01 - Nesthäkchen und ihre Puppen
hinausfliegen?« fragte Vater und nahm sein Nesthäkchen zärtlich auf den Schoß.
»Mutti bleibt ja bei dir«, tröstete Annemarie, »und du fährst doch dann auch selbst mit ihr fort in die Schweiz. Aber wenn du so schrecklich gern willst, lasse ich Fräulein Lena und Klaus allein zu Onkel und Tante aufs Gut fahren und komme lieber mit euch.«
»Möchtest du das denn so gern?«
»Ja, schrecklich gern!« Annemarie schlang beide Ärmchen um Vaters Hals.
Doktor Braun war ganz gerührt.
»So schwer wird dir die Trennung von uns, Lotte?«
»Ach, bewahre«, Annemaries lachendes Gesichtchen zeigte nichts von Abschiedsweh, »aber weißt du, Vatchen, in der Schweiz, da kann ich doch den ganzen Tag Schweizerkäse essen, soviel ich nur will! Den esse ich so schrecklich gern, und die Löcher esse ich am liebsten!« Damit sprang Nesthäkchen davon, weil sie noch so furchtbar viel bis morgen zu tun hatte.
Das Fräulein packte mit Mutti im Kinderzimmer den Koffer. Annemarie holte ihren kleinen Puppenkorb herbei und begann die Kleider ihrer Kinder hineinzustopfen. Aber der war im Nu voll.
»Fräulein, hast du noch viel Platz? Ich kriege Irenchens Schulmappe gar nicht hinein, und Babys Zuckerdose klemmt sich auch schon«, jammerte das Puppenmütterchen voll Eifer.
»Aber Annemariechen, was willst du denn bloß mit all ich rote Backen holen, Mariannchen soll mit ihren schlimmen Augen viel ins Grüne gucken, und Lolo will ich in der Sonne bleichen, damit sie weiß wird und kein Negerkind mehr ist. Baby soll tüchtig im Regen wachsen, und Kurt, der Strick, kann sich dort mal wenigstens ordentlich austoben. Gerdachen aber, von der trenne ich mich überhaupt nicht!«
»Was - und das halbe Dutzend Puppenjören willst du Tante Kätchen mit ins Haus schleppen?« fragte Mutti und versuchte vergeblich, ernst zu bleiben.
»Ja, natürlich, sie wird sich sehr freuen, und Kusine Elli auch, wenn sie auch schon zwölf Jahre alt ist.«
»Nein, Lotte, das geht nicht. Eine Puppe magst du mitnehmen, die anderen bleiben hier. Nun suche dir eine aus!« sagte Mutti in bestimmtem Ton.
Nesthäkchen machte ein enttäuschtes Gesicht, und die Puppen saßen ebenfalls mit enttäuschten Mienen da. Sie hatten sich schon so auf die Reise gefreut.
Das ist eine schwere Aufgabe für eine Mutter, die Wahl unter ihren Kindern, die sie doch alle liebhat, zu treffen. Am notwendigsten war sicher dem blassen Irenchen die Reise aufs Land. Da aber fiel ihr Blick auf Gerda. Die saß ganz still auf ihrem Stühlchen und schaute ihre kleine Mama ängstlich an.
»Nein, Gerdachen, hab keine Furcht, du kommst mit, wie werde ich mich denn von meinem süßen Nesthäkchen trennen!« rief die Kleine und zog die Lieblingspuppe an ihr Herz.
»Und ich muß mein Nesthäkchen hergeben!« dachte Mutti traurig. Aber sie wußte die Kinder bei ihrer Schwester und unter des Fräuleins Aufsicht vorzüglich aufgehoben. Hans, der Große, machte inzwischen eine Wandertour mit seinem Turnlehrer und mehreren anderen Jungen.
»Fräulein, da hättest du bald was Schönes gemacht, den hättest du doch ganz sicher vergessen, nicht?« Keuchend brachte Nesthäkchen, als der Koffer fast schon voll war, ihren großen Puppenwagen angeschleppt.
»Aber Annemarie, das Riesending können wir doch nicht mitnehmen -und was bringst du denn jetzt noch herbei, bist du denn ganz und gar nicht gescheit?« Halb belustigt, halb ärgerlich griff Fräulein Lena nach dem Vogelbauer mit Mätzchen, den Annemarie bereits in den Koffer mitten auf ihre schön geplätteten Sommerkleidchen befördert hatte.
»Ja, aber meine Gerda muß doch spazierenfahren, und Mätzchen verhungert sicherlich, wenn ich ihm nicht Futter und Wasser gebe«, behauptete die Kleine und warf ihre kleinen Holzpantinen noch hinterdrein in den Koffer.
Fräulein hatte alle Mühe, sie davon zu überzeugen, daß Frieda Mätzchen gerade so gut versehen würde wie sie, und daß Gerda noch lieber in dem kleinen Leiterwagen der Vettern ausfahren würde. Vielleicht fand sich auch noch in Arnsdorf ein alter Puppenwagen von Kusine Elli in der Rumpelkammer. Auch die Holzpantinen konnte sie entbehren, da sie doch wohl da nicht scheuern werde.
Als aber Klaus, der zweite junge Reisende, nun ebenfalls erschien, unter dem einen Arm seine Schmetterlingssammlung und unter dem anderen die Festung mit sämtlichen Regimentern, die er mit in den Koffer zu verpacken wünschte, da wurde es dem Fräulein denn doch zu bunt. Schmetterlinge, Festung und sämtliche
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