Nesthäkchen 02 - Nesthäkchens erstes Schuljahr
und die Plappermäulchen im Zaum halten gelernt.
Doktor Brauns Nesthäkchen allerdings fiel es noch immer recht schwer, sich an den Ernst und den Zwang der Schule zu gewöhnen. Annemarie bereitete Fräulein Hering noch manche Überraschung. Aber im Ganzen war sie während der Schulstunde weniger beweglich geworden. Daran hatte wohl die Freundschaft mit der artigen Margot den größten Anteil; denn ein gutes Beispiel wirkt meistens besser als zehn Ermahnungen.
Nesthäkchens Hefte wurden mit der Zeit weniger schwärzlich. Nur die Doppellinien bereiteten dem kleinen Fräulein großen Kummer. Manchen schweren Seufzer preßten sie Klein-Annemarie aus, denn die Buchstaben, die Nesthäkchen voll Eifer malte, wollten durchaus nicht zwischen den beiden Schienen bleiben; bald reckten sie oben das Köpfchen neugierig über die Linie, bald streckten sie unten ein Beinchen heraus.
Klein-Annemarie saß in ihrer Kinderstube am Arbeitspult und machte Schularbeiten. Die Puppen verhielten sich mäuschenstill, sie wußten, daß sie ihre kleine Mama jetzt nicht stören durften. Sogar Kurt, der Rüpel, gab sich Mühe, keinen Radau zu machen.
Nesthäkchen hatte aber auch eine sehr schwere Aufgabe. Es mußte drei Zeilen im Rechenheft mit Achten bemalen. In jedes kleine Viereck eine Acht. Ja, darin lag eben die Schwierigkeit. Das Rechenheft war so tückisch, nicht nur Doppellinien, nein, auch noch Seitenwände für die Zahlen zu besitzen. Wie in einen Käfig mußte jede Zahl in eins der viereckigen Kästchen eingesperrt werden. Annemaries Achten ließen sich aber nicht ihre Freiheit rauben. O nein, die fügten sich ebensowenig einem Zwang wie das kleine Mädchen selbst. Lustig sprangen sie über die blaue Linienmauer hinweg, in eine der Nachbarkammern hinein. Obwohl die Kleine auch noch soviel predigte: »Ihr sollt doch in eurem Käfig drin bleiben -ach Gott, ihr seid aber eine ganz schreckliche Bande!«
Dabei nahmen Annemaries Achten von Mal zu Mal an Umfang zu.
Die nächste aber - hilf Himmel - die sah nicht mehr wie eine Acht, sondern vielmehr wie eine Zuckerbrezel aus. Und noch war die erste Zeile nicht einmal voll.
Mit einem tiefen Seufzer ließ Nesthäkchen die Feder sinken!
»Ihr habt's gut, Kinder«, wandte sie sich zu ihren Puppen, die aufmerksam zu ihr hinüberblickten, »ihr braucht euch nicht mit den dämlichen Achten abzuquälen und überhaupt nicht in die olle Schule zu gehen!«
»Sieh mal, Gerda, wie findest du meine Achten?« Sie nahm die Puppe auf den Arm, und nun saßen sie alle beide oben auf dem Arbeitspult und prüften, das Köpfchen auf die Seite gelegt, die Rechenarbeit.
Gerda zog die Stirn kraus. Sie konnte bei aller Liebe für ihr Mütterchen diese unförmigen Geschöpfe wirklich nicht schön finden.
»Ob die von Margot wohl besser sind?« Annemarie lugte durch das Kinderstubenfenster zu ihrer kleinen Freundin hinüber. Die hatte ihr Arbeitspult ebenfalls am Fenster stehen, Annemarie konnte gerade das emsig über das Heft geneigte braune Köpfchen Margots erkennen. Das hob sich nicht, schaute nicht rechts und nicht links, ließ sich weder durch die Puppen noch durch die kleinen Geschwister von der Pflicht ablenken.
Wieder seufzte Annemarie. Wieder griff ihr tintenbeflecktes Händchen zum Federhalter. Es half nichts, wenn ihre Freundin Margot so fleißig war, durfte sie nicht faulenzen.
»Bleib bei mir, Gerdachen, vielleicht geht es dann besser«, flüsterte sie.
Die Puppe auf dem Schoß, so begann die Kleine aufs neue ihre Kunst.
Mißbilligend schüttelte Gerda ihren mit einer Gummischnur befestigten Kopf. Die letzte Acht war wieder wie ein kleines Faß ausgefallen, nein, das würde selbst sie besser machen.
»Na, versuche es doch gefälligst erst mal, wie schwer das ist!« rief Nesthäkchen ärgerlich, denn ihr war das abfällige Kopfschütteln ihrer Puppe nicht entgangen.
Sie drückte Gerda den Federhalter zwischen die steifen Zelluloidfinger und begann ihr die Hand zu führen. Beide, Nesthäkchen sowohl wie Puppe Gerda, gaben sich große Mühe. Und wirklich - die Acht, welche die zwei gemeinsam fabrizierten, war ja noch immer keine Schönheit, aber doch entschieden zierlicher und schlanker als ihre Vorgängerinnen.
»Famos, Gerda«, rief Annemarie jubelnd, »du kannst mir fein helfen, mit dir zusammen ist es auch lange nicht so langweilig wie allein!« Und wieder malten das Kinderhändchen und die Puppenzelluloidhand eifrig Zahl auf Zahl.
Schon war die zweite Reihe voll. Bewundernd blickten die
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