Nesthäkchen 02 - Nesthäkchens erstes Schuljahr
anderen Puppen auf ihre fleißige Schwester. Da geschah's! Gerda tauchte in ihrem freudigen Eifer die Feder zu tief in das Tintenfaß - klacks - ein kohlrabenschwarzer Klecks prangte mitten auf der mit soviel Mühe beschriebenen Rechenseite.
Entsetzt sahen die beiden kleinen Schreibkünstlerinnen auf den düsteren See.
»Hu - du schwarzer Klecks!« Puppe Gerda sprang vor Schreck von Annemaries Schoß herunter und schlug sich eine Beule an dem Holzpult.
Sie begann zu weinen. Bitterlicher aber noch weinte ihr Mütterchen.
»Pfui, Gerda, wie kannst du nur so ungeschickt sein, mir meine schöne Arbeit so zu verderben - ach, was wird Tante Fräulein Hering bloß dazu sagen!«
Dann aber sprang die Kleine auf, vielleicht ließ sich noch Abhilfe schaffen. Fräulein Lena zu rufen, traute sich Annemarie nicht, die würde gewiß böse sein, daß sie sich von Puppe Gerda bei ihren Schularbeiten hatte helfen lassen. Ging Fräulein doch regelmäßig aus dem Zimmer, wenn Nesthäkchen arbeitete, weil die Kleine selbständig ihre Aufgaben anfertigen sollte.
Kurz entschlossen jagte Klein-Annemarie zum Waschtisch. Dort tauchte sie ein Zipfelchen ihres Seiflappens ins Wasser und -heidi -ging es wieder zu dem schwarzen Klecks zurück. Sicher ließ er sich fortwaschen - Fräulein wusch ihr ja die Tinte von den Fingerchen auch stets ab.
Behutsam begann Nesthäkchen, den Klecks mit dem nassen Seifenlappen zu bearbeiten. Hurra - das düstere Schwarz wurde heller; freilich, der Tintenfleck um so umfangreicher.
»Nee - ohne Bimsstein geht Tinte überhaupt nicht ab!« Wieder jagte Klein-Annemarie zum Waschtisch. Diesmal kehrte sie, mit dem Bimsstein bewaffnet, zum Arbeitspult zurück.
Ribbel - rubbel - ribbel - da war der Tintenklecks weg. Aber ein großes Loch klaffte statt seiner mitten in der Seite.
Schreckensweit wurden Nesthäkchens Augen, und dann begann es aus Leibeskräften zu brüllen. »Hu - u - uh - meine Arbeit hat ein Loch - hu - u - uh!«
»Lotte - Annemie - Herzchen, was ist denn bloß geschehen, tut dir was weh?« Ängstlich forschten Mutti, Vater und Fräulein.
»Hu - u - uh -so ein dolles Loch - hu - u - uh«, klang es in noch schmerzlicherem Geheul.
»Wie hast du denn das bloß zuwege gebracht, du unachtsames Kind!« schalt Mutti. »Hu - u - uh - ich kann nichts dafür - Gerda hat die Schuld, warum ist sie auch so ungeschickt«, klagte Nesthäkchen das Puppenkind an. Das machte ein ganz zerknirschtes Gesicht. Ach, das Herz schmerzte der Puppe Gerda mehr noch als die große Beule am Kopf vor Gram, daß sie ihrem Mütterchen solchen Kummer bereitet hatte.
»Gerda - wie kommt denn deine Puppe an das Rechenheft?« mischte sich jetzt Fräulein Lena in die Verhandlung. »Hast du etwa gespielt, statt zu arbeiten, Annemie?«
»Nee - i bewahre - im Gegenteil, wir haben alle beide ganz fleißig gearbeitet. Aber dann hat Gerda mit einem Mal einen großen Klecks gemacht, und als ich ihn mit Bimsstein ausreiben wollte, ist ein so dolles Loch gekommen - hu - u - uh«, wieder öffneten sich Nesthäkchens Tränenschleusen.
»Siehst du, das kommt davon, Annemie, bei Schulaufgaben haben die Puppen nichts zu suchen«, tadelte Mutti.
»Sie sollte mir ja bloß helfen, weil meine Achten so schlecht wurden«, schluchzte Klein-Annemarie. »Ach, Fräulein, was machen wir denn jetzt bloß?«
»Ja, jetzt kann Fräulein Rat schaffen, hättest du doch vorher gerufen«, sagte die ärgerlich. Aber als sie Annemaries bettelndem Blick begegnete, tat ihr weinender Liebling ihr doch leid. »Wir müssen die Seiten zusammenkleben.«
»Brauche ich dann nicht noch mal zu schreiben?« fragte Nesthäkchen erwartungsvoll. »Freilich, die schon beschriebene Lochseite wird doch verklebt«, zerstörte Fräulein Klein-Annemaries Hoffnungen.
Es half nichts, Nesthäkchen mußte wieder auf ihr Pult klettern und von vorn mit ihren Achten beginnen.
Diesmal ohne Puppe Gerdas Hilfe. Dafür aber blieb Fräulein im Zimmer, und ihre bloße Gegenwart genügte, daß die Zahlen mit dem ihnen zugewiesenen Kämmerchen zufrieden waren und sich gegenseitig nicht in die Wohnung eindrangen; denn vor Fräulein Lena hatten selbst die Achten Respekt.
Gar nicht lange dauerte es, da hatte die Kleine ihre drei Zeilen vollendet, und diesmal sahen die Achten ganz manierlich aus.
Fräulein verklebte die Seite, aber dadurch wurde sie steif und hart wie Holz. Nesthäkchens Herz klopfte jetzt in großer Aufregung. Wenn Fräulein Hering nun etwas merkte.
»Was meinen Sie,
Weitere Kostenlose Bücher