Nesthäkchen 02 - Nesthäkchens erstes Schuljahr
Hanne«, fragte sie die Köchin, die ihr das Zuckerei zum Abendbrot schlug, »ob man das sieht, wenn etwas geklebt ist?«
Hanne überlegte.
»Na, wenn ich was zertöppert habe und klebe oder leime es hinterher, deine Mutti hat's noch immer gemerkt!« Mit dieser wenig tröstlichen Antwort mußte sich Nesthäkchen zufrieden geben.
Verlaufen
Es war am anderen Tag in der großen Pause vor der Rechenstunde. Annemarie hatte ihrer Freundin Margot vorher das Heft gezeigt, um die Wirkung der verklebten Seite zu sehen. Diese war geradezu niederschmetternd.
»Auweih«, rief Margot, »du hast ja gekleistert - auweih, wenn das Fräulein Hering sieht!«
Nun schlug Annemaries Herzchen in noch bangerer Furcht der Rechenstunde entgegen. Als die Schulglocke »klinglinglingling« zur Stunde rief, überlegte Nesthäkchen allen Ernstes, ob sie nicht lieber unten auf dem Hof bleiben sollte. Aber was half das? Fräulein Hering würde sie doch heraufrufen. Auch mit dem Sichverstecken, wie das Bruder Klaus zu machen pflegte, wenn er etwas ausgefressen hatte, haperte es. In den Schulschrank ging sie nicht hinein, und unter der Bank würde die Lehrerin sie bald entdeckt haben.
Mit solchen Überlegungen war Klein-Annemarie die Treppen hinaufgestiegen und wie stets in die erste Klassentür eingetreten. Sie hob den Blick nicht von der Erde, das böse Gewissen ließ sie nicht aufschauen.
Schuldbewußt setzte sie sich auf ihren Platz.
»Gott wie niedlich« - »Nein, wie süß« - »Ist das ein allerliebstes Püppchen!« klang es da neben ihr.
Das war doch nicht Margots Stimme?
Und die Hände, die sie jetzt streichelten, waren so groß wie die von Bruder Hans!
Verblüfft hob die Kleine den gesenkten Lockenkopf.
Da blickte sie in lauter lachende Mädchengesichter - große Mädel, welche die Haare schon wie richtige Damen trugen.
Aber noch ehe Klein-Annemarie fragen konnte, wo sie denn eigentlich hingeraten sei, klang es vom Pult her: »Na, was gibt's denn da in der Ecke?«
»Ach, Herr Professor -Herr Professor, hier ist solch ein süßes, kleines Ding, es wird sich wohl verlaufen haben«, riefen die großen Mädel zurück. Im Triumph führten sie den kleinen Blondschopf zum Pult.
Dort saß kein Fräulein Hering, sondern ein alter Herr mit einer Brille auf der Nase. Jetzt äugte er über die Brille hinweg auf den kleinen Findling.
»Nanu, was hat sich denn da eingefunden?« fragte er verdutzt.
Klein-Annemarie steckte den Finger in den Mund und verkroch sich hinter das nette Mädel, das sie vorhin gestreichelt hatte.
»Ich schoniere mich so doll«, flüsterte sie dabei, während es um ihre Mundwinkel zuckte.
Da lachten die großen Mädel noch viel mehr, die netteste aber von ihnen schlang schützend den Arm um das kleine Ding.
»Na, du hast dich wohl verlaufen«, sagte der Herr Professor belustigt.
»In welcher Klasse bist du denn, Kleine?«
Annemarie schwieg, sie schämte sich.
»Ach, die Kleine kann wohl noch nicht einmal antworten«, neckte der Herr Professor, »kannst du denn überhaupt schon sprechen, mein Kind?«
»Na ob«, jetzt hob Klein-Annemarie beleidigt das Köpfchen, »ich habe mich doch bloß so doll schoniert.«
Wieder jubelten die großen Mädel, und der Herr Professor lachte mit.
»Wenn du schon so schlau bist, weißt du am Ende auch, in welcher Klasse du bist?« setzte der Lehrer die Unterhaltung fort.
»Natürlich, in der mit fünfzig Kindern, Margot und Hilde sind auch drin, und drei Fenster sind in der Klasse und eine große schwarze Tafel«, erklärte Annemarie stolz.
Der Herr Professor konnte aus dieser Beschreibung beim besten Willen nicht die Klasse erkennen.
»Hast du eine blonde Lehrerin?« fragte er.
»Nee - Tante Fräulein Hering hat schwarze Haare.«
Die Mädchen brachen in Jubeln aus, auch der alte Herr schmunzelte.
Fräulein Hering - also bei den frisch eingerückten Abc-Schützen.
»Hildegard, führen Sie die Kleine in ihre Klasse zurück und sagen Sie Fräulein Hering, sie hätte sich um eine Treppe geirrt«, gebot der Herr Professor.
Aber Nesthäkchen gefiel es unter den lustigen Mädchen, die so nett zu ihr waren, besser als in ihrer Klasse. Und außerdem das verklebte Rechenheft -wenn sie nicht da war, würde Fräulein Hering das doch nicht sehen. Dies gab den Ausschlag.
»Ich danke schön«, sagte sie mit einem höflichen Knicks zu dem netten Mädchen, das sie bei der Hand nehmen wollte, »aber ich bleibe lieber hier.«
»Nein, mein Herzchen«, lachte der alte Herr. »Da
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