Nesthäkchen 03 - Nesthäkchen im Kinderheim
kann Margot Thielen nicht übelnehmen, weil du doch immer humpeln mußt.« Innig umschlungen gingen die beiden neuen Freundinnen an dem Friesenhäuschen vorüber, das Annemaries Mutter bald darauf beruhigt verließ.
»Bist du wild gewesen und von einem Baum heruntergefallen, Gerda?« forschte Annemarie.
»Nein, die Ärzte sagen, ich habe ein Kniegelenkleiden. Aber es ist hier an der Nordsee schon viel besser geworden. Früher konnte ich gar nicht laufen und mußte immer im Rollstuhl gefahren werden.«
»Ach, ich hatte auch mal einen kleinen Rollstuhlfreund im Krankenhaus, als ich Scharlach hatte. Kurt hieß der. Aber gesprochen habe ich nur ein einziges Mal mit ihm, weil Schwester Elfriede Angst hatte, ich könnte ihn anstecken.« Annemaries Mundwerk war jetzt aufgezogen. »Ich bin schon zwei Jahre hier«, plauderte auch das Lockenköpfchen weiter, das es gar nicht so traurig wie Annemarie empfand, daß es humpeln mußte. Denn von klein auf war es ja schon daran gewöhnt.
»Zwei Jahre bist du schon von deiner Mutti und deinem Vater weg, wo wohnen denn die?« Annemarie konnte es kaum fassen.
»Meine Eltern wohnen schrecklich weit von hier, in München, da ist Vater Polizeihauptmann. Das ist die Hauptstadt von Bayern - habt ihr das schon in der Schule gehabt?«
»Ja, natürlich«, Annemarie bejahte eifrig. »Ich bin auch schon mal in Arnsdorf gewesen, bei meinem Onkel Heinrich und bei Tante Kätchen. Die haben da ein großes Gut. Und im Riesengebirge war ich auch schon mal«, berichtete sie.
In allerbester Stimmung betrat Nesthäkchen ihre neue Heimat.
Da war bereits die Tafel zum Abendessen gedeckt. Aber vorher mußten erst sämtliche Sandhände gewaschen und die von dem Seewind zerzausten Haare glattgebürstet werden.
»Ellen, nimm Annemarie mit in euer Zimmer.« Tante Lenchen mußte sich um die Kleinen kümmern, die noch nicht allein fertig wurden.
Annemarie folgte der Hamburger Ellen. Eigentlich hätte sie noch viel lieber mit Gerda zusammen gewohnt.
Ellen öffnete inzwischen eine Tür im ersten Stock. »Das ist unsere S-tube, in dem Bett dort am Fenster schläfst du, dies ist meins, und das Bett, das drüben s-teht, gehört Gerda«, erklärte sie.
»Gerda wohnt bei uns - famos!« Annemarie machte einen Luftsprung und gerade in ihr Reisegepäck, das man auf der Erde aufgestapelt hatte, hinein. Die Reisetasche bekam sogar einen Tritt ab. Aber das störte den Wildfang nicht. Annemarie hatte augenblicklich nur Augen für ihr neues Reiseköfferchen, das neben dem übrigen Gepäck thronte.
»Ist es nicht süß - warte, ich zeige euch gleich, was alles drin ist.« Sie nestelte eifrig den Schlüssel an dem rosenroten Bändchen, das sie stolz um den Hals trug, hervor.
»Laß lieber s-tecken«, meinte die verständigere Ellen. »Wir sollen uns doch zum Abendbrot fertigmachen. Gleich wird es schellen.«
Aber Nesthäkchen pflegte daheim auch nicht immer zu gehorchen. Nein, sie mußte Ellen und Gerda, die sich auch inzwischen eingefunden hatte, unbedingt erst noch die schönen, neuen Sachen aus ihrem Köfferchen zeigen.
So hockten sie alle drei um das neue Köfferchen herum, aus dem Annemarie jetzt all die hübschen, neuen Sachen, die Mutti so ordentlich eingepackt hatte, wild durcheinander auf dem Fußboden herumstreute. Immer höher wurde der Berg von Sachen um die kleinen Mädchen.
Vergessen war das Abendbrot -nicht einmal die Glocke, welche die Kinder zum Essen rief, wurde von ihnen beachtet. Ellen, eine kleine Leseratte, war bereits in das schöne Geschichtenbuch, das Annemarie ausgepackt hatte, vertieft. Gerda begutachtete inzwischen die Garderobe ihrer Puppennamensschwester. Und Annemarie selbst hatte den blauen Badeanzug mit dem weißen Anker selig vor sich ausgebreitet und sah sich bereits damit in den Nordseewellen herumhopsen.
Da wurden sie alle drei jäh aus ihrer Versunkenheit herausgerissen. Die Tür ging auf. Miß John erschien, um die drei Mädchen zum Essen zu holen.
»Himmel - wie sieht die Stube aus!« Entsetzt blieb sie an der Schwelle stehen.
»Ellen, du sein genug groß, nicht zu dulden das Unordnung«, meinte sie ärgerlich.
Obwohl es unartig war, zu lachen, konnte sich Annemarie nicht helfen. Laut kicherte sie, die Sprache der englischen Miß war aber auch zu komisch!
»Warum lachen du? Es sein nicht zu lachen, wenn du machen die schöne Stube so häßlich. Aber jetzt erst kommen zu essen die Abendbrot.« Das kleine Fräulein war sehr empfindlich, ein Vorwurf von fremder Seite ging
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