Nesthäkchen 03 - Nesthäkchen im Kinderheim
so.
Während ihr Nesthäkchen ahnungslos mit Gerda, Ellen und einer kleinen Annekathrein, die sich auch noch in ihrer Burg eingefunden hatte, eifrig überlegte, wie man wohl die Burg, wenn sie mal erst fertig war, am schönsten schmücken könnte, ob mit Blumen, mit Muscheln oder mit Fähnchen und bunten Papierschnitzeln, schlich sich Frau Braun verstohlen davon. Aber nicht weit, nur die Treppe hinauf bis zur Wandelbahn. Dort stand ein kleines Friesenhäuschen, in dem die Badekarten verkauft wurden. Da machte Frau Braun halt. Von hier aus konnte sie ihre Lotte gut im Auge behalten, ohne selbst vor ihr gesehen zu werden.
Es wurde kühl, obwohl es erst sechs Uhr war.
»Kinder, zieht euch an und packt euer Spielzeug zusammen, es wird kalt, wir brechen auf«, erklang Tante Lenchens Stimme.
»Ach, es ist doch noch so schön - ich will bloß noch den einen Wall fertigbauen - nur einmal möchte ich mein Schiffchen noch schwimmen lassen, bitte, bitte, Tante Lenchen«, so bettelten die Kinderstimmen durcheinander.
Aber so lieb Tante Lenchen auch war, sie blieb bei dem, was sie gesagt hatte. Alles Bitten nützte nichts. Die Kinder zogen sich an, das Spielzeug wurde zusammengeräumt. Da fiel Annemaries Blick auf das Meer, das in glühendem Abendsonnenschein flammte.
»Mutti - die Nordsee brennt - die ganze Nordsee brennt!« aufgeregt rief es Nesthäkchen über den Strand.
Allgemeines Lachen erfolgte. Annemarie aber lachte nicht. Die sah mit großen, suchenden Augen an dem noch immer belebten Strand umher. Wo war denn ihre Mutti hingekommen?
Tante Lenchen, die diesen Augenblick vorausgesehen hatte, trat voll herzgewinnender Güte zu dem kleinen Mädchen.
»Deine Mutti hatte noch eine Besorgung zu machen, Annemie, sie läßt dich schön grüßen und du sollst inzwischen mit uns gehen«, sagte sie möglichst harmlos.
»Wa-as - Mutti ist weg?« Annemarie traute ihren Ohren nicht. »Ich will zu meiner Mutti - Mutti - Mutti« gellend klang es über den weißen Strand, die Dünen hinauf, bis zu dem Friesenhäuschen, hinter dem Frau Braun herzklopfend die Entwicklung der Dinge mit ansah. Ach, daß sie nicht zu ihrem Nesthäkchen hinunter durfte, es zu trösten und in ihre Arme zu nehmen.
Aber da waren schon andere Arme, die sich liebevoll um das weinende kleine Mädchen legten. Zärtlich zog Tante Lenchen das fremde Kind an ihr Herz.
»Weine nicht, mein Herzchen, du sollst mal sehen, wie hübsch es bei uns ist. Die andern Kinder sind doch alle gern in Villa Daheim. Heute abend nach dem Essen spielen wir noch im Garten, dann schläfst du ganz schnell, und morgen früh treffen wir dann Mutti wieder am Strande - ja, wollen wir es so machen, Annemie?«
Die weiche Stimme machte Eindruck auf das weinende Kind. Es hörte auf »Mutti« zu schreien und schluchzte nur noch leise.
»Ich - ich hab' ja gar kein Nachthemd und auch keine Zahnbürste da - und mein süßes neues Köfferchen auch nicht - ich muß bestimmt noch mal zu Mutti - und einen Gute-Nacht-Kuß muß ich ihr auch erst noch geben - so kann ich gar nicht einschlafen!« Aufs neue ging das Jammern los.
Inzwischen versuchte auch Miß John, die Engländerin, ihre Überredungskunst.
»Du geben morgen früh dein Mutter zwei Kusse, ein zu Guter Nacht und ein zu Guter Morgen«, schlug sie in ihrem unvollkommenen Deutsch vor.
Da mußte Annemarie über die zwei »Kusse« lachen, unter Tränen lachte sie
»Dein neues Köfferchen ist schon in Villa Daheim abgegeben worden, das packen wir heute abend noch aus. Ich wette, du hast lauter hübsche Sachen drin.« Mit diesen Worten versuchte Tante Lenchen, Annemarie abzulenken.
Schon strahlten die verweinten Blauaugen wieder beim Gedanken an all die neuen Herrlichkeiten. Ja, was würden bloß Ellen und Gerda zu den neuen Sandalen und zu dem hellblauen Badeanzug sagen!
So setzte sich die Gruppe in Bewegung. Oben an dem Friesenhäuschen atmete ein Mutterherz erleichtert auf.
»Gerda, warum machst du denn bei jedem Schritt einen Knicks?« rief Annemarie schon wieder lachend ihrer neuen Freundin zu.
Eine Blutwelle ergoß sich über das liebliche Gesicht. »Ich hab ein schlimmes Bein, ich kann nicht anders laufen.«
Annemarie ließ jäh die Hand des Kindes los. Die arme, arme Gerda! Beide Arme schlang sie plötzlich - gerade oben vor dem Friesenhäuschen - um das kleine Mädchen und drückte zärtlich ihr Gesicht gegen das der anderen.
»Ich will dich sehr liebhaben, Gerda, du sollst meine Freundin sein«, flüsterte sie.
»Das
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