Nesthäkchen 03 - Nesthäkchen im Kinderheim
helles Gemach mit hübschen Kinderbildern an den Wänden. Eine weitgeöffnete Tür führte zur Terrasse und in den Garten hinaus. Die eine Ecke des Zimmers gehörte den Puppen, die zweite den Baukasten und Spielzeug-Eisenbahnen der Jungen. In der dritten Ecke sah man in einem Regal Gesellschaftsspiele aufgestapelt, in der vierten aber stand der Bücherschrank mit Märchen-und Geschichtenbüchern. Konnte es wohl ein Kinderherz geben, das solchem Zauber widerstanden hätte? Immer mehr fühlte Annemarie ihre Abneigung gegen das Kinderheim schwinden. Ob Gerda, wenn sie erst wieder da war, wohl auch hier einquartiert wurde?
Nun ging es in die Schulstube. Nein, wie eine Klasse sah es hier ganz und gar nicht aus. Zwar standen Tische und Bänke nebeneinander aufgereiht, aber die weißen Mullgardinen an den Fenstern, die Gruppenbilder ehemaliger Zöglinge, welche die Wände schmückten, machten auch diesen Arbeitsraum anheimelnd. Nur die große Landkarte an der Wand verriet das Klassenzimmer.
Nun ging es über eine blankgebohnerte Treppe in das obere Stockwerk. Dort lagen die Schlafzimmer der Kinder. Lauter freundliche Zimmer mit hell getünchten Wänden und weißen Möbeln.
Frau Braun war entzückt von dem, was sie sah. Hier ließ sie ihre Lotte ganz beruhigt.
Die Damen stiegen die Treppe wieder hinab. Da rutschte etwas an ihnen vorüber, etwas Rotes mit weißen Punkten.
»Aber Lotte » rief Mutti entsetzt.
»Au, hier rutscht es sich fein das Geländer herab, hier müßte Klaus sein!« Mit strahlenden Augen stand Annemarie unten.
»Sieh mal an, das habe ich gar nicht gedacht, daß du solch ein kleiner Wildfang sein kannst«, lächelte Frau Clarsen.
Der Mutter war die Einführung ihres Töchterchens sichtbar peinlich. »Nun will ich mich aber verabschieden, ich habe Ihre Mittagszeit schon allzulange in Anspruch genommen, Frau Clarsen«, damit reichte die Mutter der Dame die Hand.
Auch Annemarie streckte ihr Händchen hin.
»Ei, Herzchen, bleibst du denn nicht gleich bei uns?« verwunderte sich die Pensionsmutter. »Ich wollte dich jetzt mit deinen kleinen Kameradinnen bekannt machen.«
»Ach nee - nee, das geht nicht«. Annemarie verkroch sich hinter ihrer Mutter.
»Aber Lotte, sei doch nicht so töricht, warum sollte das denn nicht gehen?« Frau Braun schob ihr Nesthäkchen wieder nach vorn.
»Ich - ich - ich hab' ja überhaupt noch nicht zu Mittag gegessen. -« Wie gut, daß ihr das noch einfiel.
»Das schadet nichts, mein Herzchen«, lachte Frau Clarsen. »Wir beide essen nach, sie werden uns schon noch etwas übriggelassen haben.«
»Und - und mein kleines neues Köfferchen ist ja auch noch nicht da, das muß ich bestimmt erst noch holen« - wie der Wind war Annemarie an der Tür.
Frau Clarsen war eine erfahrene Frau. Sie hatte schon so manche Heulszene mit kleinen Neuankömmlingen erlebt, die sich nicht von den Eltern trennen wollten.
Sie wußte, daß man nur mit Güte die jungen, ängstlichen Herzen gewinnen konnte.
»Schön, Annemarie, dann gehst du jetzt mit deiner Mutti Mittag essen. Am Nachmittag treffen wir uns am Strande, da kannst du gleich mit deinen neuen Freundinnen spielen. Und heute abend schläfst du dann das erstemal bei uns. Ja, wollen wir es so machen?« schlug Frau Clarsen freundlich vor.
»Ja - ja« - Annemaries ganzes Herz flog der netten Frau zum Dank für diese Worte entgegen. Sie durfte noch ein bißchen bei Mutti bleiben, weiter wollte sie ja fürs erste gar nichts. Bis heute abend war ja noch schrecklich lange.
Frau Braun war weniger einverstanden mit dem Vorschlag der Frau Clarsen. Sie fürchtete, daß sich am Nachmittag genau dasselbe Manöver abspielen würde. Und wenn man dem Kinde erst einmal nachgegeben hatte, würde es am Ende das zweite Mal auch sein Köpfchen durchsetzen wollen. Aber Frau Braun irrte sich diesmal.
Nachdem sie in dem schönen Kurhaus gespeist hatten, ging die Mutter mit dem Töchterchen an den Strand hinunter.
»Ach, die niedlichen rotweißgestreiften Häuschen, sind die für Puppen?« Für große Menschen waren sie doch zu klein.
»Das sind ja Strandkörbe, Lotte. Dorthinein setzt man sich mit einem Buch oder einer Handarbeit, wenn die Sonne zu sehr brennt oder wenn es regnet.«
Herrliche Muscheln lagen auf dem feuchten Sand, die das Meer herangeschwemmt hatte. Weiße, gelbe, bläuliche und rosa, große und kleine. Jubelnd machte sich Annemarie ans Sammeln. Muschelsuchen - das war ein bisher unbekanntes Vergnügen für die kleine
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