Nesthäkchen 03 - Nesthäkchen im Kinderheim
Großmamas Weihnachtsbaum immer aus, während der in Nesthäkchens Elternhaus glänzende Kugeln, flimmernde Sterne und allerlei Süßes für die Leckermäulchen zu tragen pflegte.
Nun standen all die Bäumchen fix und fertig da. Dörthe trug sie in das Weihnachtszimmer. Jedes Kind hatte dort sein Tischlein, auf dem die unausgepackten Pakete aus der Heimat lagen. Aber noch andere schöne Sachen waren darauf ausgebreitet.
Nun endlich kam die Bescherung. Die Kinder konnten es schon gar nicht mehr erwarten. Als die Weihnachtsklingel erklang und die Türen zum Zimmer der Frau Clarsen, das die Zöglinge nur selten betraten, sich öffneten, wagten sie sich aber zuerst nicht näher. Viele Tischchen standen in dem geräumigen Zimmer, und auf jedem flammte das selbstgeputzte Weihnachtsbäumchen. Ganz anders als zu Hause sah es aus und doch - als Fräulein Mahldorf am Klavier jetzt »Stille Nacht, Heilige Nacht« anschlug und alles mit heller Stimme einfiel, da hatte kein Kind das Gefühl, in der Fremde zu sein. Dasselbe Lied sangen jetzt die Eltern und Geschwister daheim, die Klänge des Weihnachtsliedes verbanden sie mit ihren Lieben in der Ferne.
Kaum war der letzte Ton verklungen, so war auch kein Halten mehr. Ein jedes stürzte zu seinem Tischchen, das es an dem Weihnachtsbäumchen erkannte. Aber noch immer wurden die verheißungsvoll umfangreichen Pakete aus der Heimat nicht geöffnet. Da lag noch so manches, was erst noch mit Jubel in Empfang genommen wurde. Jedem der kleinen Mädchen hatte Frau Clarsen einen Anhänger an einem Kettchen zur Erinnerung geschenkt. Von Tante Lenchen bekamen sie ein Album mit Ansichten der Insel Amrum. Fräulein Mahldorf hatte ihnen »Friesische Sagen und Märchen« aufgebaut, und Miß John hatte auf jedes Tischchen ein Päckchen Schokolade gelegt. Das war ein Glück, ein Freuen und sich Bedanken.
Dann aber ging's an die Heimatkiste. Die Papiere und Schnüre flogen, glückselige Ausrufe folgten. » Ein Täschchen« - » Ein Sonntagskleid« - » Ach, die entzückenden Schuhchen« - »Hurra, ich hab' den Rodelschlitten, den ich mir gewünscht« - »Und ich die Markensammlung« - »Tante Lenchen, sehen Sie bloß mal, eine Uhr« - so ging das hin und her.
Frau Clarsen und Tante Lenchen hatten die Gabe, sich mit jedem der Kleinen mit zu freuen. Vor soviel Kinderglück mußte jede trübe Erinnerung, die gerade an festlichen Tagen des Jahres ihre Stimme besonders laut zu erheben pflegt, verstummen.
Aber die Damen gingen auch nicht leer aus. In der Handarbeitsstunde bei Fräulein Mahldorf hatten die Mädchen alle emsig gestichelt. Kissen und Deckchen, Körbchen und Läufer waren da entstanden, mit denen man die Erzieherinnen beschenkte.
Inzwischen hatte Frau Clarsen ihren Dienstboten, Line und Dörthe, die Weihnachtsgeschenke übergeben. Auch in den Heimatpaketen der Kinder fand sich eine nette Kleinigkeit für die Mädchen des Hauses.
Nachdem die Bescherung in der Villa vorüber war und die schönen Geschenke genügend bewundert worden waren, schlüpften die Clarsenschen Kinder in ihre warmen Mäntel. Nun ging es in das mit Eiszapfen behangene Friesenhäuschen zu Vadder Hinrich und Modder Antje, auch ihnen Weihnachtsgaben zu bringen.
Ein bewunderndes »Ah« entschlüpfte den Kinderlippen, als sie die Tür des buntkacheligen Friesenstübchens öffneten. In der Mitte hing von der Decke herab eine weihnachtliche Bauernkrone aus Tannengewinde und bunten, herabflatternden Bändern, ringsum im Kreise mit brennenden Lichtlein besteckt.
»I, sowat habt ihr lütten Stadtdeerns doch woll noch nicht seihn (gesehen)«, sagte Mutter Antje zu ihren bewundernden kleinen Gästen. »Nu sollt ihr aber ok min (meinen) Weihnachtskuchen kosten.« Gutmütig stopfte sie die Mäulchen und Händchen mit Gebäck voll. Kaum nahm sie sich vor lauter Gastlichkeit Zeit, die Gaben, die Tante Lenchen für sie beide auf den weißgescheuerten Tisch ausbreitete, in Empfang zu nehmen.
Am meisten freuten sich Vadder Hinrich und Modder Antje über Annemaries Weihnachtsgeschenk. Das kleine Mädchen hatte die böse Sturmnacht, in der die beiden alten Leutchen sie heimgeholt hatten, nicht vergessen. Dankbar hatte sie jedem von ihnen ein Paar Pulswärmer gestrickt.
»Nee, wo nüdlich! Dat hat de lütte Deern, selbst für uns makt (gemacht)?« Oll Modder Antje konnte sich gar nicht vor Freude beruhigen.
Vadder Hinrich aber ging an die alte Truhe in der Ecke und begann darin zu kramen. Dann brachte er sieben entzückende
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