Nesthäkchen 03 - Nesthäkchen im Kinderheim
tau (zu), dat zwei lütte unschullige Kinners ins Watt umkommen dun«, sagte Mutter Antje. »Fixing, Ollscher, wie gähn (wir gehen) gleich nach ihn' hin und holen se heim, ihr annern könnt jo nu do bliwen (dableiben).« Die beiden Laternchen entfernten sich in der Richtung des Leuchtturms.
»Sie sind da - sie sind gefunden!« jubelnd klang es durch Villa Daheim.
Der liebe Gott hatte ihnen beigestanden - er hatte die Kinder errettet. Strafe bekamen die beiden diesmal von Frau Clarsen nicht - der liebe Gott selbst übernahm es, sie für ihren Ungehorsam zu strafen.
Tante Lenchen, die von allen Kindern Vergötterte, erkrankte am nächsten Tag nach der furchtbaren Aufregung und dem langen Verweilen in den nassen Kleidern an schwerem Nervenfieber.
Weihnachtsabend fern vom Elternhause
Erst als die Schneeflocken weich und dicht zur Erde herniederflogen, durfte Tante Lenchen ihren altgewohnten Platz am Mittagstisch neben Annemarie wiedereinnehmen.
Das waren böse Wochen gewesen für Villa Daheim. Schwebte doch Tante Lenchen tagelang in Lebensgefahr.
Am meisten litten Annemarie und Peter unter der gedrückten Stimmung. Wenn Frau Clarsen mit besorgter Miene an den Mittagstisch trat, wenn die Lehrerinnen oder die Dienstboten Tränen in den Augen hatten, sobald sie von Tante Lenchen sprachen, dann kamen sich Annemarie und Peter entsetzlich schlecht vor. Waren sie doch die beiden Schuldigen, durch deren Ungehorsam ihr liebes Tante Lenchen krank geworden war.
Als die Weihnachtswoche ins Land zog, konnte Tante Lenchen zum ersten Mal wieder über die weißen, schneebedeckten Dünen Spazierengehen. Annemarie und Peter durften sie begleiten, zum Zeichen, daß Tante Lenchen ihnen ganz verziehen hatte.
Jetzt erst fiel Annemarie und Peter ein Stein von der Seele, und sie konnten wie die andern Kinder dem schönsten Fest im Jahr entgegenjubeln.
Freilich anders, ganz anders kam das Weihnachtsfest hier, als Nesthäkchen es von Berlin her gewöhnt war. Da war nichts von dem lauten Getriebe der Millionenstadt, das gerade in der Weihnachtswoche seinen Höhepunkt erreichte. Keine glänzenden Schaufenster mit hohen, funkelnden Christbäumen, keine Märchenausstellungen, wie sie die großen Berliner Warenhäuser zur Weihnachtszeit zeigten. Kein Eilen und Hasten in den Straßen, kein Drängen in den Geschäften - alles still, feiertäglich still! Nur im Haus war eifriges Treiben. Da wurde geseift, gescheuert, geklopft und geputzt. Da wurde tagelang gebacken, Christstollen und Pfefferkuchen, Mohn-und Friesenkuchen und Marzipan. Die Kinder schnupperten in die verheißungsvolle Luft. In der großen Küche unten im Kellergeschoß bei Line trieben sie sich jetzt am liebsten herum.
Ein Teil der Clarsenschen Kinder war zum Weihnachtsfest heimgefahren, vorwiegend die Großen, die keine Reisebegleitung mehr brauchten. Nesthäkchen wäre auch für ihr Leben gern nach Hause gereist. Eigentlich konnte sie sich einen Heiligabend ohne Vater und Mutti, Hänschen und Kläuschen, ohne Großmama und Tante Albertinchen gar nicht vorstellen. Aber Doktor Braun befürchtete, daß Nesthäkchen nach einem Weihnachtsaufenthalt zu Hause vielleicht nicht mehr ins Kinderheim zurückwollte. Das beste war, Lotte blieb das ganze Jahr auf Amrum.
Da auch Gerda, Peter, Vronli und Gretli, Lothar und Klein-Annekathrein nicht heimreisen durften, fand sich Annemarie schnell mit der Enttäuschung ab. Sie sollte nicht bereuen, in Wittdün geblieben zu sein; denn dieser Heiligabend am Nordseestrand wurde für Nesthäkchen eine Erinnerung fürs ganze Leben.
Zuerst kam das Paketemachen für die Lieben daheim. Ganz allein mußten die Kinder ihre Weihnachtskisten packen -das bereitete ihnen die größte Freude.
Hatten sie doch alle schon wochenlang vorher fleißig die Finger geregt, um für jeden etwas Hübsches herzustellen. Die Mädchen hatten gestickt, gehäkelt und gemalt und die Jungen geschnitzt und geklebt.
Alle hatte Nesthäkchen bedacht. Mit glückseliger Zufriedenheit beschaute es die schön gepackte Kiste. Da gab es zwei Rezeptbücher, eins für Vater und eins für Mutti. Das eine war für ärztliche Zwecke, das andere für Kochrezepte. Einen selbstgehäkelten Wollschal und eine Rodelmütze erhielten die Brüder. Für die Großmama hatte sie ein Brillenfutteral gestickt. Tante Albertinchen bekam einen Strickbeutel aus friesischen Bauerntüchern. Diese Handarbeit hatte Frau Clarsen den kleinen Mädchen beigebracht. Auch Hanne durfte nicht leer ausgehen. Ein
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