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Nesthäkchen 04 - Nesthäkchen und der Weltkrieg

Nesthäkchen 04 - Nesthäkchen und der Weltkrieg

Titel: Nesthäkchen 04 - Nesthäkchen und der Weltkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Ury
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Fräulein gab der Kleinen Geld.
    »Jawoll, Eisbaisers, gib nur gleich noch einen Sechser für meine Kasse. Fräulein, ,Eisküsse‘ hole ich« - und fort war der Wildfang.
    Wirklich, zu des dicken Konditors namenlosem Staunen verlangte die Kleine »sechs Eisküsse«.
    »Eisküsse«, der Konditor Lemke kratzte sich seine kahle Platte. »Ach, du meinst wohl Negerküsse?« er holte ein Schokoladengebäck herbei.
    »Nee - nee -- Eisküsse«, aber da Annemarie sah, daß der Mann sie ganz und gar nicht verstand, setzte sie mit Überwindung hinzu. »Ich meine die ehemaligen Eisbaisers.«
    »Die heißen noch immer so«, verwunderte sich der dicke Konditor und gab ihr endlich das Gewünschte.
    Als Annemarie mit ihren Eisküssen aus dem Laden trat, hörte sie an der Ecke Extrablätter ausrufen.
    Hallo - gab es da etwa einen neuen Sieg? Die Vaterlandsliebe sowohl wie die Aussicht aus einen schulfreien Tag beflügelten Nesthäkchens Beine.
    »Großer Sieg Hindenburgs bei Tannenberg, über 30.000 Russen gefangen!« An der Ecke hielt ein Auto und daraus flatterten die Siegesnachrichten unter die jubelnd danach greifende Menge.
    Auch Annemarie ergatterte ein Blatt, und nun ging es im Galopp zurück. Sie wollte die erste sein, welche die Freudenbotschaft daheim meldete, sie wollte vor den Brüdern ihre Fahne heraushängen.
    Trotz des eiligen Laufes mußte sie die telegraphische Nachricht aber noch studieren. War es da ein Wunder, daß sie nicht daran dachte, ihre »Eisküsse« gerade zu halten, und daß die Soße, ach nein, die Tunke von dem Himbeereis ganz gemütlich aus ihr hellblaues Leinenkleid herunterkleckerte?
    Aber was schadete das, einem so herrlichen Sieg gegenüber, der sich bald als noch viel bedeutender herausstellte, als die erste Nachricht kund tat? Die russische Narewarmee war von Hindenburg in die Masurischen Sümpfe gejagt worden - was wog dagegen Tante Albertinchens Todesschreck, als Nesthäkchen mit Indianergeheul aus den Balkon herausgestürzt kam. »Extrablatt -Extrablatt - großer Sieg bei Tannenberg!«
    Und was wollte schließlich dagegen besagen, daß sie nun selbst die ersten fünf Pfennige ihrem kleinen Feldgrauen zu zahlen hatte, da man doch jetzt »Sonderblatt« sagen mußte und nicht Extrablatt! Die gab die kleine Patriotin gern. War ihre Fahne doch die erste in der ganzen Straße, welche den großen Sieg anzeigte. Bald aber kam eine nach der andern, farbenfreudig im Winde wehend, heraus. Und die Glocken Berlins verkündeten mit ehernem Munde den gewaltigen Sieg Hindenburgs.

Nesthäkchen hilft den ostpreußischen Flüchtlingen.
     
    Die furchtbar drohende Russengefahr, die sich in das blühende Ostpreußen verheerend hineingewälzt hatte, war durch den großen Sieg des Feldmarschalls zum Stehen gebracht worden. Aber die armen, von Haus und Hof vertriebenen Menschen, die vor den sengenden, plündernden und mordenden Kosaken, wie sie gingen und standen, fürchten mußten, denen konnte Hindenburg nicht helfen.
    Da mußten andere einspringen.
    In endlosen Scharen überschwemmten sie die großen Städte. Täglich kamen Züge, mit ostpreußischen Flüchtlingen vollgepfropft aus dem Schlesischen Bahnhof in Berlin an.
    Das gab heiße Arbeit für die freiwilligen Hilfstruppen dort. Die jungen Pfadfinder mußten sich fast verdoppeln, um allen Ansprüchen gerecht zu werden. Man hatte sie vom Schulunterricht befreit, da die Nachmittagsstunden nicht ausreichten.
    Kehrte Hans Braun spät am Abend abgejagt nach Hause zurück, dann konnte er nicht genug von dem Elend erzählen, welches er dort aus dem Bahnhof stündlich zu sehen bekam. Verstörte, aus der Heimat und ihrer friedlichen Beschäftigung herausgerissene Menschen, die all ihr Hab und Gut in einem Bündelchen trugen, spien die langen Eisenbahnzüge aus. Im Viehwagen zusammengepfercht Menschen, Ziegen und Hühner, alles durcheinander. Trauernde, denen liebe Angehörige von den Kosaken erstochen oder verschleppt worden waren. Eltern, die nach ihren Kindern jammerten, und weinende Kleine, welche elternlos umherirrten - ein traurig, traurig Bild, das sich tagtäglich vor den jungen Augen der Pfadfinder entrollte.
    Aber auch die erhebende Empfindung, dieser furchtbaren Not wirksam mit steuern zu helfen, erfüllte die Seelen der jungen Leute. Wenn Hans daheim von seinem Tagewerk berichtete, dann kam ihm trotz all des Jammers, den er mit angeschaut, ein Frohgefühl, eine innere Befriedigung, wie man sie nur hat, wenn man hilfreich gegen andere gewesen ist, mit

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