Nesthäkchen 04 - Nesthäkchen und der Weltkrieg
die Kleinkinderkrippen und vor allem an das Ostpreußenkomitee, wo es so unendlich viel Not zu lindern gab.
Eine Handarbeitsstunde in der Woche gehörte dem Junghelferinnenbund. Die zweite nach wie vor der Verfertigung von Liebesgaben für die tapferen Krieger. Denn die durften keinesfalls zu kurz kommen.
Doktors Nesthäkchen war, was Handfertigkeit anbelangte, ein ziemlich ungeschicktes, kleines Mädel. Es wurde dem Wildfang alles viel schwerer als der weiblichen Margot, die jedes Ding ganz besonders zierlich und sauber ausführte. Aber Annemarie gab sich rührende Mühe, es der Freundin möglichst gleich zu tun. Nicht aus Ehrgeiz - nein, es war ja für ‚unsere Krieger‘.
Wenn sie trotzdem öfters Schiffbruch mit ihren Wollerzeugnissen erlitt, so lag das sicherlich nicht an ihrem Eifer, nur an ihrer - Huschligkeit. Das erste Paar warmer Handschuhe, das Nesthäkchen zustande brachte, hatte zusammen nur neun Finger. Einen hatte es vergessen. Aber Annemarie hatte sofort einen Trost bei der Hand. »Es gibt sicherlich Soldaten, denen ein Finger abgeschossen worden ist. Die wollen doch auch Handschuhe tragen. Und ihr arbeitet bloß immer für die Gesunden!« So wies sie die Neckereien der Freundinnen mit Gemütsruhe ab.
Die Einlegesohlen, welche die Kinder mit einer Zwischensohle von Zeitungspapier für den Winterfeldzug gegen Rußland ververtigten, da sie besonders gut wärmten, zeigten bei Annemarie Braun Berg und Tal. Selbst Fräulein Hering, deren Liebling Annemarie war, konnte sich der Äußerung nicht enthalten. »Der arme Soldat, der auf deinen Sohlen herumlaufen muß, Annemarie! Der bekommt nach dem ersten Marsch Hühneraugen!«
Annemarie lachte mit der Klasse um die Wette, sowas nahm sie durchaus nicht übel.
Ihren Kniewärmer hatte sie oben und unten zusammengehäkelt, damit er nur recht schön warm sein sollte. Wenn die deutschen Soldaten auch überall vorwärtsstürmten und vor keinem Hindernis zurückschreckten, das sollte ihnen doch wohl schwer werden, sich zu Nesthäkchens Kniewärmern den Eingang zu erkämpfen. Da hieß es denn auftrennen und besser machen. Das tat das kleine Fräulein höchst ungern.
Für den Kopfschützer aber, den sie Onkel Heinrich sandte, bekam sie eine Feldpostkarte mit einem drolligen Gedicht. In diesem dankte Onkel Heinrich ihr innig, daß sie doch immerhin noch soviel Platz in dem Kopfschützer gelassen habe, daß er nicht ganz erstickt sei. Nur das Gehirn sei ihm aus einer Seite etwas eingedrückt worden. Das Gedicht, das Annemarie der jubelnden Klasse vorlas, schloß.
»Sollt’s ein Kopfschützer auch sein,
Ich trag‘ ihn als Strumpf am Bein.«
Dagegen schrieb Vater, den sie mit einer Leibbinde beglückt hatte, ob sein Nesthäkchen ihn für ein Nilpferd gehalten habe. Die Leibbinde sei von so gewaltigen Dimensionen, daß er sein ganzes Lazarett da noch mit hineinwickeln könne. Aber sonst waren Vaters Zeilen eigentlich nicht sehr vergnügt. Ihm selbst ging es trotz aller Anstrengung und all dem Traurigen, was er zu sehen bekam, ganz gut. Aber er machte sich heftige Sorgen um seine Frau, von der immer noch jede Nachricht ausstand.
Jeden Morgen lief Annemarie, meist barfuß und im Nachthemd, wie sie aus dem Bette sprang, an die Eingangstür, sobald sie die Briefschaften durch die Türklappe fallen hörte - stets umsonst. Kein Brief von Mutti war dabei, auch Großmamas Schreiben über Holland war bisher unbeantwortet geblieben.
Nesthäkchen gab ihrem Vatchen eine übermütige Schilderung ihrer Erlebnisse als »Wickelkindmutter«, um ihn froher zu stimmen. Sie erzählte ihm von dem Junghelferinnenbund, den sie in der Schule gegründet, und daß jetzt die ganze Klasse Mutterstelle bei dem kleinen Flüchtling vertrete.
Wie jubelte Annemarie, als der gute Vater ihr zwanzig Mark sandte, als Grundlage für die Kasse des Junghelferinnenbundes. Sie selbst war als ehemalige Pflegemutter zu dem Ehrenamt gewählt worden, diese Erziehungskasse zu verwalten und die Beiträge jeden Ersten des Monats einzusammeln. Das einzige Unangenehme dabei war, daß sie dabei sorgfältig über alle Beträge Buch führen mußte. Ohne Fräuleins Hilfe wäre Huschellieschen wohl niemals damit zustandegekommen.
Der Kinderwagen mit dem lustig strampelnden Mäxchen stand in der warmen Oktobersonne auf der Straße, als Annemarie und Margot heute in die Schule gingen. Da mußte natürlich haltgemacht werden.
»Margot, er hat mich eben bestimmt angelacht, er kennt mich schon.« Annemarie war
Weitere Kostenlose Bücher