Nesthäkchen 04 - Nesthäkchen und der Weltkrieg
auskam.
»Wer - von wem sprichst du denn, Annemiechen - von deinem Puppenjungen?«
»Nee - von Hindenburg«, Nesthäkchen versuchte die Bettzipfel in die Ohren zu stopfen.
Hindenburg - - - die Russen an den Masurischen Sümpfen konnten nicht mehr Angst vor ihm gehabt haben, als das arme Fräulein jetzt. Hatte denn Annemarie den Verstand verloren - oder - ach, du lieber Himmel, hätte sie selbst am Ende zu viel von der Geburtstagsbowle getrunken, lag es am Ende bloß an ihr?
Zum Glück für Fräulein erschienen jetzt zu gleicher Zeit Großmama im lila Schlafrock und Hanne in der rosa Barchentnachtjacke in der Tür. Während Großmama vor sich hin seufzte. »Das muß anders werden - das kann nicht so bleiben«, wagte sich die Köchin zu Fräuleins heimlichem Staunen an den verhexten Puppenwagen. Aber als sie daraus gar ein lebendiges Wickelkind herausholte, wuchs Fräuleins Staunen ins Ungeheure.
Großmama gab ihr die notwendige Erklärung für das plötzliche Auftauchen des Säuglings. Da beruhigte sich Fräulein ein wenig.
Nicht so Hindenburg. Der schrie bis zum Morgengrauen. Ein ganzes Heer setzte er in Bewegung. Großmama, Hanne, Fräulein, Annemarie und Hans. Alle versuchten sie es, durch Klopfen, durch Wiegen, Fahren, Summen, Schnalzen und Singen die Kraftanstrengungen des kleinen Hindenburgs zu brechen. Es nützte nichts, sie waren die Schwächeren. Erst als Großmama in ihrer Verzweiflung gegen Morgen ihm sein Fläschchen brachte, ward er friedlicher und gab auf kurze Zeit Waffenstillstand.
Nur Klaus und Puck schliefen in dieser Nacht.
Am andern Morgen wurde ganz zerschlagen Kriegsrat über Hindenburg abgehalten.
»Keinen Tag behalte ich ihn länger im Hause«, sagte Großmama bestimmt. »Ich, alte Frau, kann schließlich den Schlaf entbehren, aber wenn ihr, jungen Kinder, um eure notwendige Nachtruhe kommt, das kann ich unbedingt nicht zugeben.«
»Er wird sich bessern, ich werde ihn schon erziehen«, nahm Nesthäkchen, das aus müden, umschatteten Augen blickte, die Partei ihres Kindes. Aber es klang lange nicht so lebhaft und überzeugungsvoll wie gestern. Das Nachtkonzert hatte selbst Annemaries Gefühle abgekühlt.
»Das ist ein Schreikind - das ändert sich nicht!« ließ sich Fräulein überzeugungsvoll vernehmen.
»Es ist ein armes, kleines, in der Welt herumgestoßenes Ostpreußenkind, wo soll es denn bleiben?« Hans, der die ganze Suppe eingebrockt hatte, wagte trotz der Gewissensbisse, die ihn die ganze lebhafte Nacht hindurch gequält, noch einmal einen Vorstoß.
»Für ein Unterkommen laß mich nur sorgen«, die sonst so herzensgute Großmama war allen Verhandlungen gegenüber unzugänglich.
»Trag’s doch dahin zurück, wo du’s hergeholt hast«, meinte Klaus großmäulig.
»Du hast überhaupt still zu sein, du hast ja die ganze Nacht geschlafen.« Fast wäre es über den kleinen Hindenburg zum Streit zwischen den beiden Brüdern gekommen, wenn nicht grade in diesem Augenblick Hanne gesagt hätte. »Was unsere Portiersfrau is, wird das Kleine jewiß janz jerne nehmen. Der is doch im vorigen Frühjahr ihr kleenes Mädken jestorben. Der Mann ist nu auch im Feld, und die Jroßen sind schon aus’m Hause.«
»Ja, das ist ein guter Gedanke, Hanne«, meinte Großmama erfreut. »Ich werde mit der Portiersfrau reden. Sie ist eine ordentliche, zuverlässige Frau, und man kann dort ein Auge aus den Kleinen behalten.«
Großmama versprach der Frau jeden Monat ein Pflegegeld für den Kleinen, und diese nahm ihn mit Freuden.
So ward das Lebensschifflein des kleinen Ostpreußenflüchtlings in ein anderes Fahrwasser gelenkt.
Er zog aus Nesthäkchens Puppenwagen in die Portierwohnung hinab, und aus dem kleinen Hindenburg wurde ein »Mäxeken.«
Nesthäkchen selbst aber war ganz im geheimen mit dem Gang der Ereignisse durchaus zufrieden. Es war doch nicht so einfach, solche lebendige Puppe zu bemuttern.
Junghelferinnenbund
Draußen tobte der Krieg in Ost und West weiter. Im Lande aber war man eifrig bemüht, die Wunden, die er schlug, zu heilen und das Elend, das er mit sich brachte, zu lindern. Die begeisterte Jugend beteiligte sich nicht nur an den Liebesgaben für die Truppen und Lazarette, sondern auch an dem schönen Werk der Kriegsfürsorge.
Die Schülerinnen des Schubertschen Lyzeums hatten sich zu einem Junghelferinnenbund zusammengeschlossen. Und die eigentliche Anregung dazu hatte Doktor Brauns Nesthäkchen gegeben, oder vielmehr sein eintägiger Pflegesohn.
Die Geschichte
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