Nesthäkchen 04 - Nesthäkchen und der Weltkrieg
hinunter.
Einer der Feldgrauen hatte das rotrandige Tüchlein lachend auf sein Gewehr gespießt, wie eine Fahne wehte es.
Annemarie, die in Wittdün stets ohne Hut und Mantel aus die Straße gegangen, lief auch hier in Berlin, wie sie ging und stand, hinter ihrem flatternden Taschentuch her. Es war schwer, sich bei der Musik verständlich zu machen, oder wollte der Soldat aus Scherz ihre Bitte um das Tuch nicht verstehen? Ausgelassen marschierte sie neben dem »Fahnenträger« her und fiel mit heller Stimme in den Soldatensang ein.
»Die Vöglein im Walde
Die singen so wunder-wunder sch ön,
In der Heimat, in der Heimat,
Da gibt ' s ein Wiedersehn.«
Herzklopfend sah Großmama den winzigen roten Punkt unter all dem Staubgrau sich weiter und weiter entfernen. Du Grundgütiger, kam denn das Kind nicht wieder?
Da endlich am Ende der langen Straße, ehe die graue Menschenschlange um die Ecke bog, erhielt Nesthäkchen ihr Eigentum zurück. In großen Sätzen sprang es wieder dem elterlichen Hause zu.
So - das war eine Aufmunterung zur rechten Zeit gewesen. Ordentlich erfrischt fühlte sich Annemarie nach dem kleinen Ausflug.
Großmama war anderer Ansicht.
»Kind - Kind - wie habe ich mich wieder um dich gebangt - und dann ohne Hut, mit der Schürze bist du auf die Straße gelaufen, das tut ein wohlerzogenes kleines Mädchen doch nicht.« Die gute Großmama pflegte niemals böse auf ihren Liebling zu sein, um so mehr Eindruck machten heute ihre Worte.
»Ach Großmuttchen, wenn du dich immerzu um uns sorgst, wirst du ja deines Lebens gar nicht froh hier bei uns. Vielleicht kannst du dich lieber immer erst hinterher ängstigen, weil du es doch so oft umsonst tust«, schlug die Kleine teilnehmend vor.
Dann aber griff sie von selbst wieder nach ihrem Strickzeug. Die Krieger, die so freudig in den Kampf hinauszogen, sollten nicht frieren. Vielleicht bekam gerade der nette Soldat, der ihr das Taschentuch wiedergegeben, die Pulswärmer. Nesthäkchen quälte sich mit dem dicken Wollzeug, daß Schweißtropfen auf die gebräunte Kinderstirn traten. Es sah nicht auf, bis Hanne mit der Kaffeekanne erschien und Großmama ihr liebkosend über das Blondhaar fuhr. »So, für heute wollen wir es genug sein lassen, Herzchen.«
»Hurra - für heute habe ich genug Opfer gebracht!« Nesthäkchen jubelte so laut los, daß ein kecker Spatz, der sich bis auf die Balkonbrüstung gewagt hatte, erschreckt aufflatterte.
»Extrablatt!«
Hanne, die treue Alte, die Doktors Nesthäkchen schon auf den Armen getragen, war ganz aus dem Häuschen durch die Kriegsaufregung und die vielen Reden ihrer Freunde, des Grünkramhändlers, Milchmanns und Portiers. Sie wußte gar nicht mehr, was sie tat.
Au ch heute legte s ie Großmama neben die Ka ff eekanne zu Ne st häk ch en s heimli ch em Entzü ck en die si lberne Suppenke ll e hin.
»Ei, Hanne, so ll i ch den Ka ff ee mit der Ke ll e au s teilen«, Großmama la ch te mit ihrem Enkel ch en um die We tt e.
»Nein, wir so ll en si e gewiß al s Ka ff eelö ff el benu tz en und den Zu ck er in der Ta ss e damit umrühren«, rief Annemarie übermütig.
»Nee, diese Ru ss en, die ma ch en mi ch do ch rein verrü ck t«, Hanne gri ff kopf sch ü tt elnd na ch dem etwa s groß geratenen Ka ff eelö ff el.
»Na, warten Sie nur, Hanne, wenn die Ru ss en er st vor Berlin st ehen, dann wird’ s no ch ganz ander s sein«, ne ck te Ne st häk ch en. E s kannte die Ru ss enfur ch t der treuen Seele.
Die war denn au ch glei ch Feuer und Flamme.
»Um Jottes willen, tu dir nich versündigen, Kindchen. Bis vor Küstrin sollen ja schon die Kosaken streifen, hat der Portier, der heut mit sein Rejiment fortjemacht is, jesagt. Und der Milchmann hat heut morjen janz deutlich Kanonendonner jehört. Und was der Jrünkramfritze von nebenan is, der meint, kommen tun se sicher, die Russen, indem daß wir nämlich zu ville Feinde haben. Mit eenen werden wa woll fertig, aber nich mit det viertel Dutzend!« Hanne reckte ihre dicken, roten Arme, als sei ihr die schwere Aufgabe zugefallen, ganz allein Deutschland gegen all seine Feinde zu verteidigen.
»Na, beruhigen Sie si ch nur, Hanne«, Großmama, die si ch vor kurzem selb st de s halb Sorgen gema ch t, sch aute je tz t belu st igt drein. »Unsere tapferen Feldgrauen werden un s sch on vor rus sisch em Besu ch zu sch ü tz en wi ss en. Auf si e mü ss en wir vertrauen in dieser sch weren Zeit. Vor a ll e m aber auf den Helfer da droben !«
»Jo tt e do
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