Nesthäkchen 04 - Nesthäkchen und der Weltkrieg
oder sollte sie nicht?
Am Abend warf die deutsche Sommerzeit bereits ihre Schatten voraus. Das Braunsche Haus machte sie ganz rebellisch.
Fräulein deckte den Abendbrottisch.
»Ist es denn schon so spät, Fräulein?«, verwunderte sich die Großmama.
»Ja, in fünf Minuten acht. Hanne wird gleich die Milchnudeln hereinbringen.«
Die weiblichen Familienmitglieder nahmen um den Tisch Platz. Klaus war nie pünktlich zur Stelle. Großmama klingelte nach dem Essen. Eigentlich hatte sie noch gar keinen rechten Appetit.
Die Köchin erschien mit verdutztem Gesicht, aber ohne Milchnudeln.
»Ja, was soll denn das bedeuten? Heut' ist doch noch nicht morjen, und überhaupt ich mache die varrickte Zucht nich mit. Ich hab' eben erst die Nudeln aufjesetzt«, rief die Küchenfee brummig.
Der Hanne, die schon so lange im Hause war, nahm man ein offenes Wort nicht übel. Wenn sie auch manchmal polterte, sie meinte es herzensgut.
»Aber Hanne, sehen Sie doch mal nach der Uhr, es ist ja bereits acht«, sagte Großmama denn auch nur, auf die Standuhr in der Ecke weisend.
»Meine Küchenuhr ist erst sieben«, knurrte Hanne.
»Dann geht sie nach«, entschied Fräulein. »Die Uhren im Wohn- und Sprechzimmer schlagen auch gerade acht.«
»Meinetwejen, denn führ' ich eben die allerneuste Sommerzeit ein – vor 'ner Stunde kann nicht jejessen werden«, wütend verschwand die Köchin.
»Mit der Hanne ist es jetzt während des Krieges manchmal gar nicht mehr auszuhalten. Sage ich, sie nimmt zuviel Fett zu den Speisen, dann faßt sie das als persönliche Beleidigung auf. Jede Kriegssparsamkeit, jedes Haushalten ist ihr gegen die Natur«, seufzte die Großmama.
»Sie meint es aber wirklich nicht böse«, nahm Nesthäkchen seine alte Freundin in Schutz.
Nein, Hanne meinte es wirklich nicht böse. Ihr Poltern tat ihr bereits draußen in der Küche wieder leid. Eine halbe Stunde später standen die Nudeln auf dem Tisch.
»Es hat doch schneller jejangen«, setzt sie erklärend hinzu, und das war so gut wie eine Entschuldigung.
Großmama hatte allmählich den richtigen Appetit bekommen; man ließ sich das Kriegsabendbrot schmecken. Nur Klaus, der bei einem Freunde war, fehlte noch.
»Nun könnte der Junge aber wirklich hier sein, es ist nach halb neun«, meinte Fräulein kopfschüttelnd.
»Ja, so viel Rücksicht kann er üben, daß er wenigstens die Mahlzeiten pünktlich innehält.« Großmama war ebenfalls unzufrieden.
Annemarie sagte gar nichts. Aber um so angestrengter überlegte sie. Ob der Klaus am Ende schon vor dem Rathaus Aufstellung genommen hatte wegen des guten Platzes?
Nein, da ging die Tür. Pfeifend, als ob er gar nichts auf dem Kerbholz hätte, erschien Klaus. Die Uhren ließen gerade neun Schläge durch die Wohnung hallen.
»Nanu, schon gegessen?«, fragte er verdutzt.
»Na, erlaube mal, mein Junge. Du kannst doch unmöglich verlangen, daß wir dir zuliebe unsere Tischzeit verändern. Ich muß dich dringend bitten, künftig pünktlich zu sein«, sagte Großmama mit Nachdruck.
»Ich bin nie so pünktlich gewesen wie heute - -«
»So...?« Alle drei wiesen zu gleicher Zeit vorwurfsvoll auf die Uhr.
»Donnerschock. Das hab' ich ja ganz vergessen!« Klaus brach in ein lautes Gelächter aus. »Ich habe nämlich unsere Uhren schon heute eine Stunde vorgestellt, damit wir uns allmählich an die deutsche Sommerzeit gewöhnen.«
Da stimmten auch die andern in das frische Jungenlachen ein. Selbst Hanne, die noch mal die Nudeln wärmen mußte.
Aber als Klaus ihre Weckuhr dann auch um eine Stunde vorstellen wollte, wehrte sich Hanne ganz energisch dagegen.
»An meine Uhr hat keiner nich was zu suchen – und wenn die ganze Welt varrickt jeworden is, ich steh' auf wie alle Tage.«
»Aber Hanne, dann müssen wir ja ohne Kaffee in die Schule gehen«, jammerte Nesthäkchen.
»Ist euch janz recht, wenn ihr so'n verdrehtes Zeug mitmacht – ich wecke um sieben wie immer!«
Fräulein versprach statt ihrer, die Kinder pünktlich zu wecken. Man ging heute zeitiger schlafen als sonst, da man morgen früher aufstehen mußte. Annemarie war es recht, dann schlief Fräulein sicher schon gegen zehn Uhr.
Ein furchtbar schlechtes Gewissen hatte die Annemarie, als sie Großmama heute den Gutenachtkuß gab.
»Wenn die Uhr elf schlägt, stehst du leise auf. Dann ist es erst zehn, und wir kommen noch gerade zur Zeit. Den Hausschlüssel habe ich schon gemaust«, hatte Klaus ihr noch zugewispert.
Nesthäkchen lag im Bett und betete:
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