Nesthäkchen 07 - Nesthäkchen und ihre Küken
Rudolf. Er konnte sich heute gar nicht entschließen, sein gemütliches Heim zu verlassen. Niemals, nicht einmal in der Zeit seines ersten Eheglückes, war es ihm schöner erschienen. Der Purpurwein, der das weiße Häuslein bis zum Dach hinauf umkletterte, hatte noch in keinem Herbst so in der Sonne geglüht. »Das Haus in der Sonne!« sagte Rudolf Hartenstein leise vor sich hin.
Aber am Frühstückstisch - o weh - da gab's Wolken. Wolken des Unmuts lagerten auf Annemaries Stirn, während sie einen Kuchen vor ihren Mann setzte.
»Sieh nur, Rudi, das elende Geschöpf von einer Sandtorte! Platt wie eine Schildkröte.
Wütend bin ich! So schön hellbraun habe ich sie gebacken. Aber das Biest ist absolut nicht gegangen. Weiß der Deibel, woran es liegt. Die Krabben sind mir immerzu dazwischengekommen. Und das verflixte Flochen muß auch nicht ordentlich gerührt haben.«
»Lixtes Flößen«, echote es irgendwoher vom Erdboden, wo Klein-Ursel umherkroch. Rudi drohte seiner temperamentvollen Gattin, die mal wieder ihre Zunge laufen ließ. »Obacht ... Frauli! Die Torte wird halt auch als Schildkröte munden. Deshalb laß dir kein graues Haar nit wachsen, Annemie. Ich wett', Urtantchen und Marianne werden sie nit verschmähen.«
»Tante Albertinchen kann ich das Klietschzeug gar nicht vorsetzen. Das liegt ihr ja wie ein Mühlstein im Magen. Marianne ...«, Annemarie lachte schon wieder. »Ja, freilich, die ist noch immer kein Kostverächter, besonders wenn es sich um Kuchen handelt. Und die andern Mädel tun mir auch den Gefallen und helfen, dem mißratenen Ding den Garaus zu machen. Aber ich schäme mich vor ihnen. Sie müssen doch geradezu denken, ich hätte in den sieben Jahren absolut nichts zugelernt. Und am meisten schäm' ich mich vor unserer Hanne. Gut, daß sie wenigstens noch Kuchen mitbringt. Soll ich die Schildkröte mal sezieren, Rudi?«
»Laß, Weible ... 's ist halt Zeit genug, wenn du dich heut nachmittag ärgerst. Was willst du dir den ganzen Tag damit verderben?« meinte Rudi diplomatisch. »Schau, wie golden die Sonne uns zu Ehren heut scheint ...«
Am Vormittag gab es tüchtig zu tun. Das Telefon bimmelte unausgesetzt, und zum Überfluß kam Rudi eine ganze Stunde später zum Essen, da er einen schweren Fall hatte. Da gehörte wirklich eine größere Lammsgeduld dazu als die, über welche Annemarie verfügte, um dabei gleichmäßig freundlich zu bleiben.
Aber schließlich war man doch mit allem fertig. Die Kleinen waren aus dem Wege geräumt und nach Tisch schlafen gelegt, trotz ihres energischen Protestes: »Dar niß miedi!« Rudi geruhte endlich zu erscheinen, und seine heitere Ruhe gab, wie so oft, seinem ziemlich aufgeregten »Weible« ihr Gleichmaß zurück. Vronli half ganz geschickt an der langen Tafel, die der Vater aus sämtlichen Tischen des Hauses zusammengesetzt hatte, Löffel und Servietten herumzulegen. Glücklicherweise war gerade an diesem Dreißigsten Rudolfs sprechstundenfreier Nachmittag. So konnte man die Kaffeetafel, ungestört von Patienten, auf dem Rasen unter der goldenen Linde herrichten. Ihr schönstes Gedeck hatte Frau Annemarie aus dem Wäscheschrank ausgewählt. Goldgelber Damast, mit Lindenblättern und Sonnenstrahlen wetteiferten an Glanz. Die breiten, bauchigen Vasen mit Astern kamen auf den Tisch. Wirklich, Doktor Hartenstein hatte recht, als er die an ihm vorüberjagende Annemarie plötzlich zu fassen bekam: »Herzle, so wie du versteht das kein anderer.«
»Alles bloß fürs Auge, Rudi. Mit den Genüssen des Gaumens sieht es mieserig aus. Die Schildkröte läßt sich kaum schneiden. Die Sandtorte scheint sich in Sandstein verwandelt zu haben. Meine ganze Hoffnung ist Hanne.«
»Schau, was hinter der Rotdornhecke drüben liegt, Herzle.« Rudi machte ein ganz verschmitztes Gesicht.
Schneller als Annemarie war noch Vronli dort.
»Ein Paket, ein mächtig großes Paket ... soll ich's aufmachen, Mutterli?« Ihr Zeigefinger bohrte bereits neugierig ein Loch in das Papier. »Kuchen ... Mutterli ... lauter Kuchen!« jubelte sie los.
»Tuchen ... Hansi auch Tuchen haben ...« Woher er plötzlich gekommen war, wußte man nicht. Aber er war da, der kleine Kerl, barfuß, in Nachthosen. »Hansi ... Schlingel, du sollst doch schlafen.«
»Slingel, dar niß ßlafen«, erklärte Hansi und angelte vergeblich von der Schulter des Vaters, wo er seinen Stammplatz hatte, zu dem verlockenden Paket herunter. »Rudi ... du bist ein Verschwender! Das kostet doch ein Vermögen.
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