Nesthäkchen 07 - Nesthäkchen und ihre Küken
Hansi hatte den Stiefelknecht erwischt und ging damit auf die Fliegenjagd.
Klapp ... klapp ... »Hansi, du wirst noch was entzwei schlagen.« Das war Vronli, die stets die Vernünftigste war.
Klapp ... klapp ... »Au ... Wehweh ...« Gellendes Jammergeschrei ließ Annemarie erschreckt in die Kinderstube stürzen. »Was ist denn los, Kinder?«
»Wehweh ... Lein-Usche Wehweh.« Bitterlich weinend wies Nesthäkchen der Mutter sein Fingerchen, das mit Hansis Stiefelknecht in unsanfte Berührung gekommen war.
»Mein armes Kleines, komm, Mutti wird heile, heile machen.« Annemarie nahm ihr schreiendes Nesthäkchen auf den Arm und ging mit ihm, das verletzte Fingerchen streichelnd, singend auf und ab:
» Heile, Kätzchen, heile,
Kätzchen hat zwei Beine,
Kätzchen hat einen langen Schwanz,
Morgen ist alles wieder ganz. «
Aber Annemaries oft bewährte Heilmethode in der Kinderstube wollte heute nicht verfangen. Klein-Ursel schrie weiter: »Wehweh!«
»Schäm dich, Hansi, dem armen Schwesterchen solche Schmerzen zu machen. Du bist ein ganz ungezogener Junge!«
Das hätte Annemarie nicht sagen dürfen. Denn jetzt wurden Hansis Schleusen aufgezogen. Ein Zucken um die Mundwinkel, die Unterlippe schob sich vor, und dann ging's los. Arme Annemarie! Hansi heulte mit Nesthäkchen um die Wette. Man verstand sein eigenes Wort nicht mehr.
»Schscht ... Kinder! Es ist Sprechstunde, es sind Patienten da!« Annemaries Mitteilung machte wenig Eindruck. Ursel schrie weiter, während Hansi eine kleine Kunstpause eintreten ließ.
»Darniß wahr. Dleich seh iß nach, ob Pajenten da sind.«
Ehe Annemarie ihn zurückhalten konnte, war das kleine Bürschchen barfüßig, in seinem Nachthöschen, aus dem Zimmer. Fünf Sekunden später wurde er vom Vater, der bereits seinen weißen Untersuchungskittel trug, höchst energisch wieder zurückbefördert.
»Annemarie, du mußt die Kinder besser beaufsichtigen. Dasgehtnit, daß der Bub mir in die Sprechstunde 'neinläuft.«
»Ja, ich kann doch nichts dafür, wenn der Schlingel davonläuft«, begehrte Annemarie auf. Sie war in den sieben Jahren ihrer Ehe durchaus noch kein Lamm geworden. Vorwürfe konnten Frau Annemarie noch ebenso rebellisch machen, wie das früher bei Brauns kleinem Nesthäkchen der Fall gewesen war.
»Da ... der Katzenkopf ist fürs Davonlaufen.« Höchst energisch entlud sich Annemaries Unmut in einem mütterlichen Klaps. »Nun plärr nicht noch obendrein, Hansi ... ruhig, Klein-Urselchen, Vater macht nachher einen Verband ums Fingerchen. Wenn ihr jetzt nicht ganz brav seid, darf mir keiner nachher beim Kuchen- backen helfen.«
»Nur ich, Mutterli, ich war brav, gelt?« bettelte Vronli, die bereits selbständig in Höschen und Röckchen schlüpfte.
»Hansi auch brav ...«
»Lein-Usche auch ...« Plötzlich hatte Annemarie wieder die artigsten Kinder von der Welt und konnte ihre unterbrochene Morgentoilette fortsetzen.
Ein wenig verändert schaute ihr Gesicht freilich aus dem Spiegel. Es war etwas voller geworden in den sieben Jahren ihrer Ehe. Auch Annemaries Figur war nicht ganz so gertenschlank mehr wie einst. Aber die Blauaugen strahlten noch in demselben Glanz wie früher bei dem kleinen Nesthäkchen. Es war das Bild einer glücklichen Frau, das der Spiegel zurückwarf.
Annemarie Braun hatte niemals lange in den Spiegel geschaut. Und Annemarie Hartenstein hatte noch weniger Zeit dazu. Um acht Uhr war Kaffeestunde, die sie stets gemeinsam mit ihrem Manne genoß, bevor er in die Praxis ging. Bis dahin mußten noch Vronlis braune Zöpfchen geflochten, Hansis dicke Beinchen in die ersten Höschen gesteckt und Klein-Ursel angezogen und mit der Milchflasche versorgt werden. Das junge Mädchen, das sich Annemarie hielt, hatte genug zu tun mit der Hausarbeit und dem Turöffnen während der Sprechstunde.
So - ein tiefer Atemzug hob Frau Annemaries Brust. Nun war die kleine Gesellschaft befriedigt. Bunte Schürzen vorgebunden, zogen sie mit Eimerchen, Schaufel und Formen in das Gärtchen hinaus zu dem Sandhaufen, um das Kuchenbacken vorerst auf eigene Faust zu versuchen.
Annemarie trat an den Frühstückstisch auf der in den Garten hinausgehenden Veranda. Bei ihrem Nahen hob Doktor Hartenstein den Kopf von der Zeitung und streckte seiner Frau liebevoll die Hand entgegen. Wie sie da in ihrem losen Morgengewand stand, von ihrem schönen Blondhaar umrahmt, gefiel sie ihm fast noch besser als damals zum Rosenfest in Tübingen als Biedermeierfräulein.
»Guten
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