Nesthäkchen 08 - Nesthäkchens Jüngste
vergessen, was ihr vorher schwer auf der Seele gelastet hatte. O Gott - was nun? Sollte sie die gute Stimmung der Eltern ausnutzen? Das war sicher das Klügste.
»In der Bank bin ich heute zum letzten Mal gewesen!« So - da war sie kopfüber drin. »Was?« fragten Vater und Mutter wie aus einem Munde. Und der Professor fügte stirnrunzelnd hinzu: »Soll das ein schlechter Witz sein, Ursel? Sonst muß ich halt bitten, dich deutlicher zu erklären.«
»Da ist weiter gar nichts zu erklären. Ich gehe nicht mehr zur Bank«, antwortete Ursel mit schuldbewußtem Trotz.
»Ja, Ursel, was soll denn das heißen?« rief die Mutter erschreckt. »Hat man dir etwa zu verstehen gegeben, daß du nicht wiederkommen sollst?« Nun schlug die Brandung über ihr zusammen.
»Halb zog sie ihn - halb sank er hin!« Unwillkürlich kamen der unverbesserlichen Ursel diese Worte aus Goethes Fischer. »Halb bin ich geflogen - halb bin ich gegangen. Und das ist auch gut so. Besser ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende. Ich eigne mich nun mal nicht zur Bankbeamtin.«
»Und an die Schande, die du mir machst, wie peinlich mir das dem Bankdirektor gegenüber sein muß, scheinst du gar nicht zu denken!« Der Professor sprach immer noch ruhig, aber drohende Wolken hatten sich auf seiner Stirn geballt. »Kindisch, unüberlegt und unbeherrscht hast du gehandelt. Wenn du dir ein Versehen in deiner Tätigkeit hast zuschulden kommen lassen, so ist es an dir, um Entschuldigung zu bitten. Das verlang' ich von dir.«
»Ich, um Entschuldigung bitten? Dem Müller vielleicht noch Abbitte leisten? Eher gehe ich in die Spree!« rief Ursel hitzig.
»Da ist's halt kalt und naß. Obwohl eine kalte Dusche dir augenblicklich gar nicht schaden könnte.« Seltsam stach des Vaters Ruhe gegen seine temperamentvolle Tochter ab. »Ich werde mit Direktor Hildebrandt sprechen und die Sache wieder einzurenken suchen.« »Gib dir bloß keine Mühe, Vater. Jedes Wort ist umsonst. Ich hab' dir den Gefallen getan und bin zur Bank gegangen. Was draus geworden ist, siehst du. Ein zweites Mal lass' ich mich nicht wieder in den Kerker hineinsperren. Ich bin froh, daß die Bombe geplatzt ist. Jetzt studiere ich Musik.«
»Und wer gibt dir das Geld dazu? Ganz abgesehen von unserer Erlaubnis, nach der du ja nicht mehr zu fragen scheinst.« Nur Annemarie, die ihren Mann so genau kannte, hörte den zurückgehaltenen Sturm aus seinen beherrschten Worten.
»Tavares geben mir, soviel ich haben will«, stieß Ursel trotzig heraus.
»Aha - die Brasilianer. Von Fremden willst du Geld annehmen. Schämst du dich nicht, sowenig Stolz zu besitzen?«
»Tavares sind keine Fremden, sondern meine besten Freunde.« Ursel kämpfte tapfer gegen ihre Tränen.
»Was sie für einen guten Einfluß auf dich ausgeübt haben, sehe ich halt heut.« »Tavares können nichts dafür, wenn ich von der Bank weglaufe«, begann Ursel die Freunde erregt zu verteidigen. »Milton Tavares hat mir oft genug gut zugeredet, sonst hätte ich den ganzen Krempel schon längst hingeschmissen. Er war es, der mir immer wieder gesagt hat, daß die Musik nur für Muße- und Feierstunden da sein soll. Nicht, um damit Geld zu verdienen. Der kann am allerwenigsten was dafür.«
»Ich freue mich, daß der junge Mann wenigstens darin vernünftige Ansichten zeigt. So - und nun wollen wir das unerquickliche Gespräch abbrechen. Wenn du zur Vernunft gekommen bist, kannst du dich bei mir melden.« Der Professor verließ ärgerlich das Zimmer.
»Den Tag werden wir alle beide nicht erleben«, murmelte Ursel mit geballten Händen vor sich hin.
Kopfschüttelnd betrachtete Frau Annemarie ihr zorniges Nesthäkchen. »War es wirklich nötig, Ursel, daß du uns hier eine derartige Szene machst? Gerade heute, wo wir solch eine freudige Nachricht von Tante Margot erhielten. Nun hast du uns die frohe Stimmung gründlich verdorben.« Ganz traurig sah die Mutter drein.
Ursel wäre ihr am liebsten um den Hals gefallen und hätte sich dort alles Schwere von dem Herzen geweint. Aber das ließ ihr Stolz nicht zu.
So sagte sie nur schuldbewußt: »Ich kann nichts dafür, wenn die Sache derartig aufgebauscht wird.« Nur schnell hinaus aus dem Biedermeierzimmer. Höchste Zeit war es. Länger wollten sich die Tränen nicht zurückhalten lassen.
Bei all ihrem Pech war Ursel Gott sei Dank aber nun mal ein Glückskind. Das frohe Familienereignis ließ sowohl bei dem Professor als auch bei seiner Frau keine lange Ungehaltenheit aufkommen.
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