Nesthäkchen 08 - Nesthäkchens Jüngste
erlauben.« Und Milton Tavares führte die Einladung noch dahin aus, daß sie beide Donna Ursel ganz bestimmt spätestens am Sonntag erwarten. »Der Bank müsse ihr frei geben.«
Vor Ursel, welcher der Sommertag draußen bisher grau und unfreundlich erschienen war, lag plötzlich die ganze Welt wieder hell, klar und sonnengolden. Das war ein Ausweg, ein herrlicher! Zu Tavares - und mit denen gemeinsam das Badeleben genießen. Ja, das war etwas anderes, als hinter den Bankmauern bei Additionen zu schwitzen, die nie stimmen wollten. Sie hatte sich sowieso schon den Kopf zerbrochen, was sie mit ihrer Zeit jetzt anfangen sollte. Jetzt hatte sie was zu denken und zu tun. Ihre Sachen mußten instand gesetzt werden, denn schick und hübsch wollte sie in solch einem Luxusort aussehen. »Mutti - Muzichen -« vergessen war alles Vorhergegangene bei Ursel, »ich reise nach Pyrmont. Spätestens Sonntag. Tavares haben mich eingeladen. Ach, ich freue mich ja diebisch. Und wie gut, daß ich nicht mehr an der Bank bin. Sonst hätte ich doch gar nicht hinfahren können, nicht wahr?« So sprudelte es von Ursels roten Lippen.
Sie hatte in ihrer Aufregung gar keinen Blick dafür, daß der Mutter Antlitz betreten dreinschaute und sie ihre Freude nicht zu teilen schien.
»Auguste, lassen Sie den Einkochapparat eine Stunde bei neunzig Grad kochen«, sagte Frau Hartenstein statt jeder anderen Antwort.
Ursel zog ein Mäulchen. Einkochapparat - daß die Mutter auch dafür noch Interesse haben konnte, wo es sich um ihre Pyrmonter Reise handelte. »Was sagst du denn bloß dazu, Muzi?« bestürmte sie die Mutter aufs neue. »Trude muß mir mein rosa Kleid noch waschen. Und ein neues Chiffontuch brauche ich zu dem Blümchenkleid. Das seidene nehme ich auch mit und -«
»Wir werden nachher drin alles besprechen, Ursel«, unterbrach die Mutter die Überlegungen der Tochter. »Augenblicklich habe ich Wichtigeres zu tun.« Wichtigeres - Ursel hatte ihre Mutter sehr lieb, aber in diesem Augenblick hielt sie sie doch für recht hausbacken. Wie konnte ihr der Einkochapparat nur wichtiger erscheinen als eine Reise nach Pyrmont!
Das junge Mädchen stieg die Treppe hinauf zu ihrem Zimmer. Es war ein reizendes Zimmer. So hell und farbenfreudig war's und so gemütlich. Früher hatte Ursel das kleine Reich mit Schwester Vronli geteilt. Jetzt war sie stolze Alleinherrscherin dort. Ursel machte sich daran, ihre Garderobe auszubreiten. So traf sie Frau Annemarie an, nachdem sie sich endlich entschlossen hatte, ihre Bohnen nebst Einkochapparat der Auguste anzuvertrauen.
»Was stellst du denn hier an, Ursel?« fragte sie erstaunt. »Ich halte deine
Garderobenmusterung noch für reichlich verfrüht, mein Kind.«
»Gar nicht, Muzichen. Höchste Zeit ist es. Spätestens am Sonntag muß ich reisen.«
»Du mußt Sonntag reisen - ja, Ursel, was soll denn das heißen? Hast du denn schon Vater oder mich um Erlaubnis gefragt?«
»Marga und Milton Tavares haben mich eingeladen.«
Ursel umging die etwas unbequeme, mütterliche Frage.
»Ich glaube nicht, daß Vater damit einverstanden ist, daß du nach Pyrmont reist. Wir sind nicht gewöhnt, derartige kostspielige Einladungen von Fremden anzunehmen. Und dich auf eigene Kosten in das teure Bad zu schicken, dazu liegt gar kein Grund vor.« »Als ob Geld bei Tavares überhaupt eine Rolle spielt. Sie sind glücklich, wenn ich ihnen Gesellschaft leiste. Und neulich hast du erst gesagt, ich sähe so blaß aus, als ich aus dem Büro heimkam. Da wird mir ein Badaufenthalt sicher guttun.« Ursels rosiges Aussehen strafte ihre Worte Lügen.
»Nun, es muß nicht gerade Pyrmont sein. Lüttgenheide, wohin du während deines Urlaubs reisen solltest, dürfte für deine Erholung genügen«, stellte Frau Annemarie fest.
»Ach, immer bloß an die langweilige Waterkant. Da ist's ja zum Auswachsen mopsig.
Höchstens kann man da für die Kühe und Ochsen Staat machen«, streikte Ursel.
»Ja, Kind, wenn du Erholung suchen mit 'Staat machen' in einen Sack wirfst, dann bleibe nur ruhig hier in Lichterfelde. Du brauchst dich nicht bei Onkel Klaus und Tante Ilse zu langweilen.«
Ursel warf den Kopf zurück. »Nein, brauche ich auch nicht. Ich fahre ja nach Pyrmont.« Und plötzlich in einer jähen Gefühlsänderung, die bei ihr nichts Seltenes war, fiel sie der Mutter bittend um den Hals. »Muzichen - mein lieber, kleiner Muz, sei doch nicht so schlecht zu mir. Erlaube mir doch, zu Tavares zu fahren. Ich freue mich ja so furchtbar
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