Nesthäkchen 08 - Nesthäkchens Jüngste
über die Einladung.«
»Kind - Urselchen, wenn du doch nur begreifen möchtest, daß Vater und ich nur dein Bestes im Auge haben, auch wenn wir deine Wünsche nicht immer erfüllen. Du bist doch jetzt ein erwachsenes Mädel und mußt das einsehen.«
»Das sehe ich ganz und gar nicht ein!« Um Ursels zärtliche Gefühle war es geschehen. »Wenn euch keine Kosten daraus erwachsen, wenn ich nichts versäume, liegt durchaus kein Grund vor, mir die Badereise nicht zu gönnen.« Ursel weinte fast vor Ärger. »Du sprichst schon wieder in einem Ton, mein Kind, in dem ich nicht weiter mit dir verhandele.« Große Mühe mußte sich die erregte Frau Hartenstein geben, um die notwendige Ruhe zu bewahren. »Vielleicht findet der Vater, daß du eine derartige Reise jetzt nicht verdient hast, da du gestern von der Bank fortgelaufen bist. Oder aber wir können den Aufenthalt in einem derartigen Luxusbad in Gemeinschaft mit den reichen Tavares, denen keine Grenzen in ihren Ausgaben gesetzt sind, für unsere Tochter nicht ersprießlich halten. Wir haben unsere Kinder bescheiden und solide erzogen, und du neigst uns dagegen schon viel zu sehr zu Luxus und Eleganz. Denke, wie schlicht und bescheiden Vronli ist, an der solltest du dir ein Beispiel nehmen.« Frau Annemarie wandte sich zur Tür.
Da aber hatte Ursel sie schon eingeholt und hielt sie mit zärtlicher Umarmung zurück. »Muzichen, sprich du mit dem Vater, daß ich fahren darf. Dann will ich auch meinetwegen bescheiden und einfach werden - geradeso wie Vronli. Aber erst laßt mich reisen. Und an den Bankdirektor will ich auch schreiben und mich entschuldigen, wenn Vater es wünscht.« Um der Pyrmonter Reise willen war Ursel jetzt zu jedem Zugeständnis bereit. »Ich werde nachher mit dem Vater sprechen.« Frau Annemarie wußte ganz genau, wie diese Besprechung ausfallen würde. Hatte sie doch genau dieselben Bedenken, wie er sie voraussichtlich geltend machen würde.
Frau Hartenstein kannte ihren Mann. Er schaute sie, als sie ihm von der Einladung der Tavares sprach, nur groß an und sagte: »Fraule, mein liebes, müssen wir darüber wirklich erst noch ein Wort verlieren?«
Frau Annemarie schüttelte den Kopf. »Nein, Rudi, ich wußte es natürlich im voraus, daß du dagegen bist. Aber ich hatte es der Ursel doch nun mal versprochen.« »Das Mädel ist wohl ganz und gar nimmer gescheit. Beansprucht wohl gar noch eine Belohnung dafür, daß es mir solche Ungelegenheit macht. Ich hab' halt gemeint, sie wird Vernunft annehmen und heut wie alle Tage zur Bank gehen. Aber nein - der Dickkopf muß halt durchgesetzt werden. Selbst wenn die Einladung nicht von den Tavares ausginge, von denen wir sie sowieso möglichst zurückhalten wollen, ich hätte nach dem gestrigen Tage nimmer meine Einwilligung zu solch einem Extravergnügen gegeben. Das kannst du ihr sagen, verstehst? Und nun mach mir nicht ein gar so betrübtes Gesichtel, Annemie. Das überlaß halt der Ursel.« Der Professor wandte sich wieder seiner Arbeit zu, während seiner Frau die wenig beneidenswerte Aufgabe zufiel, der erwartungsvollen Ursel die Hiobsbotschaft zu melden.
Ursel ballte die Hände. Sie weinte Zornestränen. Die grenzenlose Enttäuschung gab ihr sogar den Gedanken ein, es mit dem Elternhause einfach ebenso zu machen wie mit der Bank - auszukneifen. Auf und davon zu gehen, nach Pyrmont zu den Freunden zu fahren. Dort wußte man sie besser zu würdigen als daheim. Reisegeld - oh, das würde sich finden. Von ihrem vorigen Monatsgehalt hatte sie ja noch etwas übrig. Hans verfügte auch über eine kleine Summe, die er sich durch Unterrichtsstunden erspart hatte. Obgleich er sie oft foppte und neckte, wenn es wirklich darauf ankam, stand er ihr sicherlich brüderlich zur Seite. Aber dann wurden diese unvernünftigen, aus zorniger Enttäuschung geborenen Gedanken von verständigeren Überlegungen verdrängt. Wollte sie wirklich ihren Eltern diesen Kummer machen? Besonders ihrer kleinen Muzi? »Ach was - sie haben es ja nicht anders verdient«, da meldete er sich wieder, der »Bock«, der in der Kinderzeit des Hartensteinschen Nesthäkchens eine wichtige Rolle gespielt hatte.
Aber der Schluß dieses Hin- und Hergerissenwerdens war doch schließlich, daß Ursel, umgeben von ihrem bereits herausgekramten Reisestaat, auf dem Korbsofa saß und mit bitteren Tränen auf die Reise verzichtete. So fand sie ihr treuer Kamerad Cäsar. Er klemmte die schwarze, kalte Nase zwischen ihre Finger, die sie gegen die Augen
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