Nesthäkchen 08 - Nesthäkchens Jüngste
überzeugender Selbsteinschätzung.
»Ja, das sagen alle Nichtstuer. Wer in der Schule nicht seine Pflicht tut, vernachlässigt sie auch im späteren Leben.« Es gab eine Zeit, wo Brauns einstiges Nesthäkchen noch nicht so weise gesprochen hatte.
»Und Onkel Klaus? Er ist der tüchtigste Landwirt, den es gibt. Und dabei war er früher doch ein Lausbub ersten Ranges - er hat es mir selbst erzählt, als wir das letzte Mal bei ihm an der Waterkant waren. Im Gymnasium hat er nur von milden Gaben sein Dasein gefristet, und klebengeblieben ist er auch mal. Ich bin doch noch immer durchgerutscht«, verteidigte sich Hans. Onkel Klaus war sein Ideal.
Der Neffe hatte äußerlich und innerlich viel Ähnlichkeit mit dem Bruder der Mutter, das mochte ihn wohl ganz besonders zu ihm hinziehen.
»Erst leiste das, was Onkel Klaus leistet. Wie du dein Abitur machen willst, wenn du in den Hauptfächern so schwach bist, ist mir schleierhaft -«
»Mir auch!« Hans seufzte tief und schaute sorgenvoll drein. »Weißt du, Mutter, wir wollen die Angelegenheit mal freundschaftlich besprechen. Wenn ich euch einen guten Rat geben darf, so ist es der -«
»Wir brauchen deinen guten Rat nicht, mein Sohn«, unterbrach ihn die Mutter.
Aber Hans fuhr unbeirrt fort: »Nehmt mich aus der Schule, laßt mich Landwirt werden. Gebt mich zum Onkel Klaus in die Lehre -«
»Und der Vater? Der dich zu seinem Nachfolger bestimmt hat? Der hofft, daß sein einziger Sohn das, was er in mühevollen Jahren aufgebaut hat, mal weiter fortführen wird, der dich zu seinem Assistenten heranbilden möchte, Hansi -«, stellte Annemarie dem Sohne eindringlich vor.
»Kann er nicht. Ein Mensch darf das Schicksal des andern nicht derart beeinflussen. Und wenn es selbst der Vater ist. Jeder muß seinen Weg gehen. Auch Ursel findet das.« »Du bist ja ein ganz dummer Junge! Wenn zwei unreife Menschen dieselbe Ansicht haben, ist es deshalb noch lange nicht eine richtige. Pflicht der Eltern ist es, Kinder, denen die nötige Lebenserfahrung noch fehlt, nach bestem Gewissen zu beraten. Heute wollt ihr dies, morgen jenes. Vorläufig bleibst du ruhig in der Schule, mein Junge. In einem Jahr denkst du vielleicht grade entgegengesetzt.«
»Glaub' ich nicht«, meinte Hans mit sachlicher Ruhe, die zu dem erregten Ton der Mutter in merkwürdigem Gegensatz stand. »Deine Brüder, Onkel Hans und Onkel Klaus, sind doch alle beide keine Mediziner geworden, obwohl der Großvater es sicher auch gewünscht hat, daß einer in seine Fußstapfen tritt.«
»Mein seliger Vater hat es damals auch schwer genug empfunden.« Frau Annemarie warf einen wehmütigen Blick zu dem Bilde ihres Vaters, das Tannengrün schmückte. »Aber er hat dafür seinen Schwiegersohn gehabt.« Hans zuckte die Achsel.
»Da müßt ihr euch an Vronli und Ursel wenden«, meinte er mit männlicher Logik. »Für Schwiegersöhne bin ich nicht verantwortlich.«
»Aber ein anständiges Zeugnis zum nächsten Quartal, das bitte ich mir ganz energisch aus! So, mein Sohn, die Angelegenheit ist vorläufig erledigt. Nun werde ich mir Ursel vornehmen und der den Kopf zurechtrücken. Ruf sie mir mal herunter.« Frau Annemarie begab sich in ihr nebenangelegenes Wohnzimmer, halb ernst, halb belustigt den Kopf schüttelnd: »Nein, diese Kinder!«
Ursel
Wo blieb denn die Ursel? Hans hatte ihr die Bestellung doch sicher ausgerichtet. War sie wieder mal eigensinnig und leistete keine Folge?
Annemarie seufzte. Ursels Erziehung war nicht so ganz einfach. Vronli und Hans hatten sich ziemlich von selbst erzogen. Ursel war ungleich schwieriger. Sie verband bestrickende Liebenswürdigkeit mit einer starken Mischung von Selbstbewußtsein und Eigenmächtigkeit. Dazu ein gut Teil Schlauheit und weibliche Eitelkeit. Jeder hatte ihr von klein auf gesagt, was für ein reizendes kleines Ding sie sei, daß sie selbst natürlich davon am meisten überzeugt war. Da konnte nur eine liebevolle Mutter die Auswüchse verständnisvoll beschneiden, denn mit Strenge war Ursel nicht zu kriegen.
Gerade als Annemarie ihre Arbeit beiseite legen wollte, um selbst mal nach ihrem Nesthäkchen zu sehen, hörte man auf der Treppe Schritte. Oder vielmehr Sprünge von einem zweibeinigen und einem vierbeinigen Wesen. Die Tür wurde aufgerissen, hereingestürzt kam ein großer Hühnerhund. Dahinter Ursel, zum Ausgehen gerüstet. »Ursel, bring den Hund hinaus. Du weißt, ich mag ihn nicht in den Wohnräumen«, ordnete die Mutter an.
»Ach, Cäsar ist ein so
Weitere Kostenlose Bücher