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Nesthäkchen 09 - Nesthäkchens und ihre Enkel

Nesthäkchen 09 - Nesthäkchens und ihre Enkel

Titel: Nesthäkchen 09 - Nesthäkchens und ihre Enkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Ury
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geschlagen hatte.
    Im Nu war Marietta vom Rücken des Pferdes herabgeglitten. Sie trat zu dem weinenden Kind und legte ihm mitleidig die Hand auf den Kopf. »Warum weinst du, Kleine?« fragte sie in der portugiesischen Landessprache.
    Das Kind ließ die Hände von dem verweinten Gesicht sinken und sah erstaunt auf. Es antwortete aber nicht.
    »Willst du mir nicht sagen, warum du weinst?« drang Marietta in die Kleine.
    Das Kind schüttelte den Kopf. Es begann von neuem zu schluchzen.
    Ratlos stand Marietta vor dem kleinen Findling. Ihrem weichen Herzen schien es unmöglich, davonzureiten und das Kind seinem Schmerz zu überlassen.
    »Diego, reite weiter zu Donna Anita und sage ihr, daß ich gleich nachkomme«, gab sie dem alten Neger Weisung. Dann wandte sie sich wieder dem weinenden Blondköpfchen zu.
    Ein Gedanke kam ihr. Sollte das Kind am Ende ihre Frage nicht verstehen? Es hatte so verständnislose Augen gemacht. Ein Kind der Tropen war es sicher nicht. Aber in welcher Sprache versuchte sie es?
    »Warum weinen du, Kind?« Die deutschen Laute kamen ihr ganz von selbst auf die Lippen. Das Kind hob jäh den Kopf. Aus den verweinten Blauaugen kam ein Lächeln.
    »Ich habe Hunger, und Mutter ist krank«, sagte es in deutscher Sprache.
    »Armes Kind!« Zum ersten Mal begegnete dem reichen, im Luxus aufgewachsenen Mädchen jemand, der Hunger litt. Hatte sie denn gar nichts für das Kind?
    Entsetzlich mußte es sein, hungern zu müssen.
    Das junge Mädchen griff in die Tasche des Reitkleides. Da - das Stück Schokolade, das sie stets beim Ausreiten bei sich trug, würde den Hunger stillen. Das Kind verschlang die Süßigkeit gierig.
    »Nun du nicht hast Hunger mehr?« erkundigte sich Marietta freundlich.
    »Mächtigen Hunger«, dabei blieb das Kind. »Ich habe heute nur zwei Bananen gegessen.«
    »Kochen ihr keine schwarzen Bohnen?« Das war das Nationalessen, das auch auf dem ärmsten Tische nicht fehlte.
    »Mutter ist krank, Mutter kann nicht kochen.«
    »Aber dein Vater oder die Großmutter, sorgen sie nicht für dich?«
    »Vater ist tot, und Großmutter ist weit weg. Über dem großen Wasser in Deutschland. Da ist's schön, sagt Mutter. Da hat sie in einem richtigen Haus gewohnt und ein Bett gehabt wie die reichen Leute.«
    »Und hier ihr haben kein Bett?« fragte Marietta leise. Das Elend war dem verwöhnten Mädchen noch nie so kraß entgegengetreten. Es griff ihr ans Herz.
    »Bloß ein Lager auf der Erde aus Gras und Blättern. Mutter sagt, wenn Vater noch lebte, würde sie gern alles ertragen. Aber Vater ist ja nun tot. Und Mutter wird auch bald sterben.« Das Kind sprach dieses Furchtbare mit einer gleichgültigen Selbstverständlichkeit aus.
    »Oh, nicht sagen so Trauriges!« Entsetzt blickte Marietta auf das kleine Mädchen. »Deine
    Mutter wird werden gesund. Haben ihr einen Arzt?«
    »Wir haben kein Geld.« Die Kinderaugen sahen sorgenvoll drein.
    Marietta überlegte nicht länger. »Ich werde gehen zu deine Mutter.« Vergessen waren Anita und der Wettritt. Vergessen, daß sie niemals allein ohne einen Diener gehen durfte. Auch daß der Vater es nicht besonders gern sah, wenn seine Damen die Siedlungshäuser besuchten. Anita pflegte sich stets davor zu drücken. Aber Marietta hatte die Mutter schon öfters begleitet.
    Das Pferd wurde an den Gummibaum gebunden. Dann folgte Marietta der Kleinen in die Kaffeeplantagen hinein. Kreuz und quer, wie in einem Irrgarten zogen sich die Wege durch die Anpflanzungen. Immer neue grüne Mauern türmten sich vor den beiden auf. Die Sonne brannte heiß. Marietta war nicht gewöhnt, zu Fuß zu gehen. Die Zunge klebte ihr am Gaumen.
    War es nicht voreilig gewesen, sich so weit zu entfernen? Würde Anita sie nicht suchen? Sollte sie umkehren?
    Nein - nein! Sie ging ja einen Samariterweg. Hatten die Ärmsten, denen sie Hilfe bringen wollte, nicht ständig mit solchen Strapazen und Qualen zu kämpfen? Mußten sie nicht noch obendrein schwere Arbeit leisten? Sangen dort nicht irgendwo sogar Leute bei der Arbeit? Mit aller Willenskraft ertrug Marietta die ungewohnten Strapazen. Nach einer halben Stunde öffnete sich der endlos scheinende Buschwald der Kaffeeplantagen. Ein freier Platz wurde sichtbar mit gelbgrauen Lehmhütten. Das war die Ansiedlung der zu den benachbarten Plantagen gehörenden Arbeiter. Niemals war Marietta bis hierher gekommen. Für die Ausfahrten und Spazierritte pflegte man landschaftlich malerische Punkte zu wählen. O Gott, sah das hier öde und verlassen

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