Nesthäkchen 09 - Nesthäkchens und ihre Enkel
sie wieder dasselbe Luxusleben unter der Tropensonne führen sollte wie einst. Sie hatte inzwischen anderes, Wertvolleres kennengelernt, was ihrer innersten Natur entsprach. Wenn sie daran dachte, Deutschland, das Rosenhaus und vor allem die liebe Großmama in wenigen Wochen verlassen zu müssen, dann empfand Marietta ein Weh, dem nichts in ihrem jungen Leben gleichkam. Und doch, es ging ja nicht anders. Sie gehörte zu ihren Eltern, sie war fest mit Anita, ihrer Zwillingsschwester verknüpft. So rang die junge Marietta mit Wollen und Müssen.
Ein Frühlingstag war es mit Sonnengold und Kirschblüte, als wisse auch die Natur, daß es galt, der Großmama den Geburtstag zu verschönen. Großmamas Geburtstag im April war immer ein besonderes Fest. Diesmal doppelt, da sie ihn zum ersten Mal mit allen Kindern und Enkeln vereint beging. Ursel hatte eine Unmenge Geschenke herbeigetragen, um ihre Muzi zu erfreuen. Jedes Enkelkind hatte ein Gedicht, ein Lied oder ein Musikstück für die Omama bereit. So vieler Liebe gegenüber durfte sich kein trauriger Gedanke hervorwagen. Abends spät, als alles heimgegangen war, als auch Anita und Marietta schon ihr Stübchen aufgesucht hatten, trat Frau Annemarie noch einmal auf die Terrasse hinaus. Ein schwerer Seufzer, der so gar nicht zu dem frohen Tag passen wollte, entrang sich ihrer Brust. Bald war's soweit.
Droben auf dem Tausendschönchenbalkon stand die junge Enkelin, von ähnlichen Empfindungen durchpulst wie die alte Frau unten. Der Seufzer traf ihr Ohr, das heißt Marietta fühlte ihn mehr, als daß sie ihn hörte. Und da huschte es auch schon die Treppe hinunter, da schmiegte sich eine kleine Hand in die der Großmama. »Großmama, liebe Großmama, nicht traurig sein. Ich will nicht mitgehen zurück in die Tropen. Ich will bei dir bleiben - ich will in Deutschland bleiben - immer.«
»Seelchen, das wolltest du? Dich von den Eltern und Geschwistern trennen? Ich bin alt, ich kann dir nicht mehr viel sein.«
»Wenn die liebe Großmama ist alt, ich muß sorgen für sie. Ich will bei dir sein, daß du bist nicht allein, wenn der Großpapa geht in Klinik. Ich will machen dich wieder froh, wenn du bist bange nach unserer Mammi.«
»Und du selbst, Seelchen? Denkst du gar nicht an dich? Wird es dir nicht auch bange werden?«
»Ich bin ja bei der lieben Großmama.« Fest hielten sich Großmutter und Enkelkind umfangen.
Leicht wurde es Marietta nicht gemacht, die Zustimmung der Eltern für ihren Wunsch, in Deutschland bleiben zu dürfen, zu erlangen. Der Vater wollte keins seiner Kinder missen. Und die Mutter? Nur Frau Annemarie ahnte, wie schwer es Ursel wurde, ihren Mann umzustimmen, sich von ihrem Kind zu trennen. Für ihre Muzi mußte sie das Opfer auf sich nehmen. Das Weh, das sie ihr zufügen mußte, sollte ihre Tochter lindern. Am meisten aber erschwerte Anita der Schwester den Entschluß. Die ganze Heftigkeit ihres Wesens, die das Jahr in Europa gezügelt hate, kam wieder zum Ausbruch, da die Schwester sich von ihr trennen wollte. Marietta blieb unbeeinflußbar Anitas Bitten, Tränen und Empörung gegenüber. Fest hatte sie im deutschen Boden Wurzeln geschlagen. Wieder stand Frau Annemarie mit ihrem Mann im Hamburger Hafen, doch diesmal zwischen ihnen ein junges Mädchen. Wieder löste sich ein Schiff vom heimatlichen Hafen, ein Kind vom Herzen der Eltern.
Hoffnungsfreudig wehten die Tücher: »Auf Wiedersehen!«
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