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Nette Nachbarn

Nette Nachbarn

Titel: Nette Nachbarn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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Er wühlte in den Papieren, förderte Zigaretten und
Streichhölzer zutage, zündete sich eine an und legte das Streichholz in einen
Aschenbecher, der die Form eines Fußes hatte.
    Ich setzte mich und schaute zu dem
Fischernetz hinauf. Zwischen all dem nautischen Zeug hing — vollkommen
zusammenhanglos — eine Krücke.
    Knox beobachtete mich. »Gefällt Ihnen
mein Zeug?« Er ließ sich auf seinen Schreibtischstuhl fallen und machte eine ausholende
Geste mit dem Arm.
    »Es ist... interessant.«
    »Ja. Ein Hobby von mir, Sammeln.«
    »Verstehe.«
    »Daheim habe ich sogar noch mehr.
Größere Sachen. Jukeboxes. Eine alte Colamaschine. McDonald’s Goldene Bögen.
Babe den Blauen Ochsen.«
    »Was?«
    »Babe den blauen Ochsen, Babe the Blue
Ox. Eine Statue. Dreizehn Fuß hoch. Hab’ ihn bekommen, als sie das Paul Bunyan
Drive-in in Corvallis, Oregon, abgerissen haben.«
    »Großer Gott.«
    Knox’ Verhalten änderte sich abrupt. Er
beugte sich vor und musterte mich aufmerksam. »Also, wie ist das nun mit Jimmy
und Bruder Harry?«
    Ich berichtete ihm über die Probleme im
Globe Hotel und erzählte auch von den Mutmaßungen, die in der Nachbarschaft
angestellt wurden. Knox hörte aufmerksam zu, blinzelte mich durch einen
Rauchschleier hindurch an. Als ich fertig war, sagte er: »Ich weiß nicht,
Schätzchen. Die Jungs sind beide vollkommen verrückt, aber um ein paar von den
Schlitzaugen zu erschrecken...«
    Ich zuckte innerlich zusammen, als er
diesen gemeinen Ausdruck gebrauchte, den das amerikanische Militär aus Vietnam
mitgebracht hatte.
    »Ich weiß nicht«, wiederholte Knox.
»Harry ist bloß ein Irrer, hat ‘n paar unausgegorene Vorstellungen von Gott.
Und Jimmy ist ein armer, heimatloser Bastard, der von Pontius zu Pilatus
gelaufen ist. Es erscheint nicht wahrscheinlich, daß einer von ihnen — «
    »Erzählen Sie mir von den beiden.«
    Er rutschte in seinem Stuhl hin und
her, stemmte einen Stiefel gegen die Ecke des Schreibtisches und lehnte den
Kopf zurück. »Na ja, Harry treibt sich schon seit Jahren hier herum. Predigt
meistens hier an dieser Ecke. Ich nehme an, er glaubt, daß das eine Art
Gegenmittel zu meinen Filmen darstellt.«
    »Wohnt er in der Nähe?«
    »Ja, hat ein Zimmer in einer Penne
drüben in der Turk Street. Der ist immer hier, bei Regen und Sonne, und labert
von der Erlösung. Manchmal jage ich ihn fort, nur um der Form willen, aber
meistens lasse ich ihn reden.«
    »Wie heißt er mit Nachnamen?«
    Knox dachte nach. »Woods, glaube ich.
Aber ich könnte es nicht beschwören.«
    »Wissen Sie, wie er den Vietnamesen
gegenüber eingestellt ist, die hier in diese Gegend gezogen sind?«
    »Darüber haben wir nie gesprochen.
Wahrscheinlich genauso wie alle anderen. Glaubt, daß sie Sünder sind, die man
Gott nahebringen muß.«
    »Wie sieht es mit Harrys Herkunft aus?
Hat er irgendwann einmal erzählt, woher er kommt?«
    »Nein. Er ist genauso lange hier wie
ich, vielleicht fünfzehn Jahre.«
    »Und Sie wissen nicht, warum er so
geworden ist, wie er jetzt ist?«
    Knox zuckte mit den Schultern. »Wie
wird man verrückt?«
    Das war eine gute Frage. »Was ist mit
dem Mann, den Sie Jimmy nannten? Wer ist das?«
    »Jimmy Milligan. Trauriger Fall. Er ist
gebildet — sieht man ja daran, wie er Gedichte zitiert. Yeats. Immer nur Yeats,
sonst nichts. Aber seine Stimmung wechselt schnell, ohne große Vorwarnung.«
    Das hatte ich vor gar nicht langer Zeit
selbst beobachten können. »Ist er gewalttätig?«
    Knox lächelte ein wenig überrascht.
»Jimmy? Zum Teufel, nein. Einfach nur wirklich glücklich oder wirklich traurig.
In der einen Minute grinst er wie ein Idiot — wie da draußen mit Harry — , in
der nächsten sieht er aus, als wollte er gleich zu weinen anfangen. Manchmal
weint er auch. Steht auf der Straße und heult.«
    »Sie sagten etwas davon, daß er
heimatlos wäre.«
    »Ja. Jimmy ist einer von diesen stolzen
Menschen — will keine Almosen annehmen oder bei der Heilsarmee schlafen. Er
richtet sich in verlassenen Häusern ein, in alten Zeitungskiosken, in den Buden
auf Baustellen. Macht es sich immer ganz gemütlich — ich kann mich noch
erinnern, daß er einmal sogar Vorhänge in dieser riesigen Holzkiste angebracht
hat, die jemand in einer Seitenstraße zurückgelassen hatte. Aber die Bullen
kommen immer und schmeißen ihn raus. Die Bullen oder die Leute, denen der
Besitz oder das Haus gehört. Passiert jedesmal.«
    »Wo wohnt Jimmy jetzt?«
    Knox zuckte mit den Achseln. »Wer

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