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Nette Nachbarn

Nette Nachbarn

Titel: Nette Nachbarn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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»Das werde ich
herausfinden.«
    Sallie ging um den Tresen herum und zog
einen Papierkorb hervor. Sie schob die Überreste, die auf dem Tresen lagen,
hinein und half mir dann, meine Glassplitter loszuwerden. »Die Stadt verändert
sich«, sagte sie, als sie aufstand. »Vorher wäre so etwas nie passiert.«
    »Vor was?«
    »Ach, nichts Besonderes. Ich meine, vor
Jahren. Die Stadt ist jetzt so anders. In den Menschen steckt so viel Ärger.
Neulich war ich auf dem Zebrastreifen vor Magnins, am Square, wo mein
Blumenstand ist. Ging bei Grün über die Straße. Dieser Kerl in seinem
Sportwagen — ein gutaussehender, gut gekleideter Mann, den wir früher für einen
Gentleman gehalten hätten — biegt um die Kurve, überfährt mich fast. Ich
springe zurück, als die Bremsen kreischen, und wissen Sie, was er zu mir sagt? ›Verpiß
dich, Alte.‹« Sie war damit fertig, die Überreste der Geschenkpäckchen in den
Papierkorb zu werfen, und stellte ihn jetzt wieder hinter den Tresen, wo man
ihn nicht sehen konnte.
    »›Verpiß dich, Alte‹«, wiederholte sie
leise. »Und das von jemandem, den wir immer einen Gentleman genannt haben.«
    Ich konnte sehen, daß sie nicht in der
Stimmung war, die Art von Fragen zu beantworten, die ich ihr stellen wollte.
Also erkundigte ich mich nur: »Sind Sie heute abend daheim, Sallie?«
    »Heute abend? Ich bin abends immer zu
Hause... Mag nach Anbruch der Dunkelheit nicht mehr auf der Straße sein.«
    »Dann komme ich vorbei und besuche
Sie.«
    »Sicher doch. Kommen Sie, wann immer
Sie Lust haben.« Die dicke Frau watschelte zum Fahrstuhl. Sie sah um Jahre
älter aus als am Morgen, als ich sie zum erstenmal gesehen hatte.
     
     
     

FÜNFTES
KAPITEL
     
    Roy LaFonds Büro befand sich nördlich
vom Zentrum San Rafaels, in dem neuen Teil eines Industriegebiets. Ich fuhr
über die Route 101 dorthin, vorbei an sanften Hügeln, die nach den frühen
winterlichen Regenfällen in frischem Grün standen.
    Marin County stellte einen deutlichen
Gegensatz zum Tenderloin dar. Teure Häuser klebten an den Berghängen,
beherrschten die Aussicht über den Mount Tamalpais und die Richardson Bay. Die
Yachthäfen erstickten fast an Segelbooten, schicke Einkaufszentren säumten die
Schnellstraße, und Luxusautos brausten an mir vorbei, als ich meinen alten MG
die steilen Kurven hinaufquälte. Dies hier war reiches Land — die geistige
Hauptstadt der Ich-Generation. Aber in Marin gab es auch Armut; eine
Suppenküche in San Rafael teilte mehr freie Mahlzeiten aus als je zuvor, und
Bitten der Wohlfahrt um Spenden von Kleidung und Haushaltsgütern für die
Bedürftigen wurden gut verbreitet. Wie das Tenderloin hatte auch Marin seine
Probleme, aber hier, inmitten all der natürlichen Schönheit, waren sie leichter
zu ignorieren.
    Ich verließ die 101 bei Freitas Parkway
und fuhr über die Schnellstraße zum Northgate Drive. Sie wand sich an einem
riesigen Einkaufszentrum entlang, in dem es von Menschen wimmelte, die nach
Mitbringseln aus dem Urlaub suchten. LaFonds Gebäude war ein
Standardbürokomplex aus Holz und Glas, gleich rechter Hand hinter Sears. Ich
parkte vor dem Haus, ging hinein und lief ein paar Minuten suchend durch die
Flure, bis ich seine Suite gefunden hatte.
    Die Empfangshalle war mit teuren
Antiquitäten eingerichtet, und auf einem Tisch in der Mitte zeigte eine
Reliefkarte der Bay Shores das Eigentumswohnungs-Projekt in Tiburon. Hinter dem
Empfang stand niemand. Ich wartete, räusperte mich dann laut, und schließlich
erschien eine junge Frau in einer Tür weiter hinten. Sie hatte die Arme voll
mit Papieren. Ihr Haar löste sich aus einem Knoten tief im Nacken, und trotz
der relativen Heiterkeit, die im Büro herrschte, wirkte sie gequält. »Oh«,
seufzte sie, »Sie müssen Roy’s Verabredung für zwei Uhr sein.«
    Ich sah auf meine Uhr. Es war zehn
Minuten nach zwei. »Ja. Tut mir leid, daß ich zu spät komme.«
    Die Frau ließ die Papiere auf den Empfangstisch
plumpsen. »Sie sind vielleicht spät dran, aber Roy noch später. Er hat gerade
vor fünf Minuten angerufen und erzählt, daß er auf der neuen Baustelle noch
aufgehalten worden ist. Er hat vorgeschlagen, daß Sie ihn dort treffen, um Zeit
zu sparen.«
    »Wo ist die Baustelle?«
    »Bay Shores East, drüben in Alameda
County, in der Nähe der Golden Gate Fields.«
    Ich dachte nach. Von hier aus war das
eine relativ kurze Fahrt, über die Richmond-San Rafael Bridge, und später
könnte ich dann über die Bay Bridge in die Stadt

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