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Nette Nachbarn

Nette Nachbarn

Titel: Nette Nachbarn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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verschlossen war und mir nicht erzählen wollte, was er
und seine Freunde in der Nachbarschaft getrieben haben — wird vermißt.«
    »Seit wann?«
    »Seit gestern nachmittag irgendwann.«
    »Und?«
    Ich überlegte, ob ich ihm von der
Angewohnheit der Jungs erzählen sollte, ihren Schwestern zu folgen, und auch
von meinem Verdacht, was Duc betraf, aber meine Loyalität den Vangs gegenüber —
die schließlich meine Klienten waren — hielt mich davon ab. »Er ist nie zuvor
verschwunden. Er könnte in Gefahr sein.«
    »In dieser Stadt verschwinden jeden Tag
Kinder. Wenn er bis morgen nicht wieder auftaucht, sollten seine Eltern eine
Vermißtenmeldung erstatten.«
    »Greg —«
    »Sharon, wie alt ist Duc?«
    »Ich würde sagen, Anfang Zwanzig.«
    »Dann ist er volljährig. Und es ist
kein Verbrechen, wenn ein Mensch nicht nach Hause kommt — das weißt du doch.«
    Es stimmte. Wenn Duc freiwillig
verschwunden war, dann war das sein gutes Recht — vorausgesetzt, er hatte kein
Verbrechen begangen. Tatsächlich war es sogar so, daß die Polizei, wenn sie
einen vermißten Erwachsenen ausfindig macht, der aus freiem Willen verschwunden
ist, seinen Aufenthaltsort nicht einmal demjenigen mitteilen durfte, der die
Vermißtenanzeige erstattet hatte. Aber wenn ein Mensch in ein Verbrechen
verwickelt war...
    Greg sagte: »Du solltest dich besser
aus dieser Untersuchung zurückziehen, Sharon.«
    Ich hatte gewußt, daß er das sagen
würde, aber ich war dennoch enttäuscht.
    »Schau mal«, fuhr er fort, »ich möchte
nicht, daß du uns in die Quere kommst. Außerdem ist es eine gefährliche Gegend,
und ein Mensch — vielleicht zwei — sind bereits ermordet worden.«
    »Du mußt mich nicht beschützen.«
    »Der Himmel stehe mir bei, wenn ich das
versuchen sollte. Aber ich meine es ernst — bleib aus der Sache draußen. Aus
persönlichen Gründen halte ich dich auf dem laufenden, wie wir vorankommen,
aber das ist auch alles.« Er legte auf, um einem weiteren Streit aus dem Weg zu
gehen, und ich saß da, den Hörer in der Hand, und kochte innerlich.
    Nun, ich hatte Gregs Entscheidung genau
vorhergeahnt, und da saß ich nun. Ich wagte es nicht, gegen seine Anweisungen
zu verstoßen; ich hatte das in der Vergangenheit versucht, als wir noch ein
Paar waren, und hatte selbst da fast meine Lizenz verloren. Was sollte ich also
jetzt tun? Ins Büro von All Souls zurückkehren, wo auf meinem Schreibtisch
Dokumente warteten, die ausgefüllt und zugestellt werden mußten? Das hatte Zeit
bis zum Nachmittag. Heimfahren und nachschauen, ob Barry aufgetaucht war,
nachdem ich heute morgen aus dem Haus gegangen war? Irgendwie bezweifelte ich
das, so betrunken, wie er auf dem Anrufbeantworter am Vorabend geklungen hatte.
    Das Freizeichen ertönte aus dem Hörer.
Ich streckte die Hand aus und wählte Dons Nummer. Er antwortete, sagte, daß
Barry nicht im Haus aufgetaucht war, ehe er ging, und fragte dann, ob ich mit
ihm zu Mittag essen wollte.
    »Ich muß in die Stadt und ein paar neue
Standfotos beim Fotografen abholen«, erklärte er. »Wollen wir uns irgendwo in
der Nähe treffen? In der Temple Bar vielleicht?«
    Die Vorstellung gefiel mir. Die Temple
Bar war ein kleines verstecktes Plätzchen am Ende einer Gasse in der Nähe vom
Union Square. Es war gemütlich und dunkel dort, und die Finsternis paßte zu
meiner Stimmung. Ich erzählte Don, daß ich ihn um zwölf Uhr dort treffen würde.
    Dann dachte ich an Carolyn Bui. Sie
sollte wissen, daß man mir den Fall fortgenommen hatte. Doch als ich sie
anrief, war sie gerade dabei, zu einer Besprechung mit einem ihrer Geldgeber in
die Stadt aufzubrechen. Impulsiv lud ich sie ein, sich mit Don und mir zum
Mittagessen zu treffen.
    Es war erst halb elf. Ich hatte noch
anderthalb Stunden totzuschlagen. Da ich ohnehin in die Stadt wollte, konnte
ich auch bei den Kaufhäusern haltmachen und mit meinen Weihnachtseinkäufen
beginnen. Oder...
    Sallie Hydes Blumenstand war nicht weit
von dem Restaurant entfernt, in dem Don, Carolyn und ich uns treffen wollten.
Es gab keinen Grund, warum ich nicht bei ihr stehenbleiben und mit ihr sprechen
sollte. Schließlich hatte Greg vorhin nichts weiter gemeint, als daß ich mich
vom Tenderloin fernhalten sollte. Er konnte doch gewiß keine Einwände dagegen
haben, daß ich eine Bekannte am Union Square besuchte.
     
     
     

NEUNZEHNTES
KAPITEL
     
    Die Regenwolken der letzten Nacht
hatten sich vollständig verzogen, und der Union Square funkelte wieder im
Sonnenlicht.

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