Neu-Erscheinung
heißt das? Findest du’s gut?«
Ansgar lächelte, seit langem mal wieder.
»Gut? Hammer, hätt ich nie gedacht. Kompliment an Masuch, da hat er mal richtig was gefunden, die alte Kukident-Krücke. Ich hab mal gegoogelt, diese Bella Gabor, null Treffer, ist garantiert ein Pseudonym.«
»Meinste?«
»Ich bitte dich, Autoren sind so selbstverliebt, dass ihnen ein Spiegel wichtiger ist als tägliche Nahrungsaufnahme. Keiner von denen würde freiwillig auf Öffentlichkeit verzichten. Keiner. Es sei denn ...«
»Was?«
»Sie haben was zu verbergen.«
»Verstehe, und du meinst, diese Bella Gabor, die ... die hat was zu verbergen?«
Ansgar zuckte nur mit den Schultern, während mich ein unsichtbarer Finger an den Hüften berührte.
Frau Löffler hatte es geschafft, unbemerkt zu mir vorzudringen.
»Herr Litten, Sie sollen Pfarrer Nordermann anrufen. Eilt.«
Sie steckte mir den Notizzettel zu, mit einer glaubhaft besorgten Miene, als müsste sie den Stellungsbefehl für einen Afghanistaneinsatz überbringen.
»Dem wirste was erklären müssen«, grinste Ansgar.
»Wieso ich?«
»Tja, das sind die Schattenseiten eines Lokalchefs. Wenn es knallt, musst du die Munition erklären und den Schuss!«
Das Bild war schief, traf aber den Sachverhalt. Was Ansgar nicht wusste, war, dass ich bereit war, jede Munition zu erklären, solange niemand von mir verlangte, den Schützen zu outen. Ansgar beugte sich über seinen Schreibtisch, um eine Post-It-Notiz vom Monitor seines Computers zu klauben.
»Hier, da is’ so ’ne Frauengruppe, will dich sprechen.«
Ansgar schob mir die Notiz zu.
»Warum?«
»Weiß nicht, auch wegen der
Messias
, wollen den Kontakt zur Gabor!«
»Ich hab keinen Kontakt zur Gabor!«
»Ja, ich auch nicht, ruf halt an und sag denen, die sollen sich an Masuch wenden.«
»Den sollen Sie auch anrufen, Herr Litten!«
Wieder war es Frau Löffler gelungen, sich an mich heranzuschleichen. Ihre Miene war nun noch besorgniserregender. Sie zauberte einen weiteren Zettel aus ihrem bunten Folklorerock und begann zu zitieren.
»Ihre Frau hat angerufen, vor vier Minuten. Rückruf sofort! Pfarrer Nordermann hatte ich ja schon gesagt. Kevin Lehmschulte will eine Kopie vom Foto ...«
»Das kann Siggi machen. Warum war dieser Bogenschütze eigentlich im Kulturteil?«, fragte ich Ansgar.
»Frag Siggi, der hat die Seite gespiegelt.«
Siggi grinste nur verlegen, Frau Löffler fuhr fort.
»Masuch, hatte ich ja auch gesagt, das Sankt-Maria-Krankenhaus will auch einen Rückruf ...«
»Warum?«
»Die Messias!«
»Wurde die da eingeliefert?« Keiner lachte über den kleinen Scherz, am allerwenigsten Frau Löffler.
»Irgendwie wollte eine von den Grauen Engeln heute nicht kommen, wegen der Geschichte!«
Die Grauen Engel waren eine Initiative, die auf einer Idee von Pfarrer Nordermann basierte. Es ging um das ehrenamtliche Engagement von Witwen in der Krankenpflege. Eine wirklich gute Idee, die aber nun wohl eine neue Entwicklung bekam.
»Das war’s?«
»Äh, nein ... ein älteres Pärchen, Touristen aus Görlitz, die haben ...« Frau Löffler schwieg für einen langen Augenblick, unfähig, ihren Satz grammatikalisch und inhaltlich korrekt zu beenden.
»Frau Löffler?«
»Die haben ... die haben ...«
Frau Löffler zog mich aus dem Büro, was die Aufmerksamkeit von Siggi und Ansgar erst recht provozierte. Aber mehr als einen fein säuberlich gestärkten, weißen Spitzenkragen und den Rest von Frau Löfflers Rücken bekamen sie nicht zu sehen.
»Die haben ein Foto!«, flüsterte Frau Löffler, so leise es ging.
Sie rückte noch ein wenig näher zu mir, um ihren neuen Job als Schutzschild zwischen mir und meinen beiden neugierigen Kollegen optimal erledigen zu können. Nachdem sie sich noch einmal vergewissert hatte, dass auch wirklich niemand zu sehen bekam, was sie ausschließlich mir zu zeigen gedachte, reichte sie mir das Foto. Das Motiv war sehr ungewöhnlich für zwei Touristen aus Görlitz. Normalerweise wurde mindestens eine Batterie von Aufnahmen mit unserer wirklich pittoresken Altstadt bestückt. Eine weitere mit dem Streichelzoo am Muttenwald und bei Bedarf noch eine mit dem Denkmal von Hugo Hörlitzer, dem Erfinder des Klapprades und wohl bedeutendsten Sohn der Stadt. Auf diesem Foto, das mir Frau Löffler präsentieren musste, waren weder die Altstadt, der Streichelzoo noch Hugo Hörlitzer zu sehen, sondern nur ein nackter Mann mit cremefarbenen Baumwollsocken.
»Ich habe denen gesagt, dass
Weitere Kostenlose Bücher