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Neu-Erscheinung

Neu-Erscheinung

Titel: Neu-Erscheinung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Gantenberg
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das für uns völlig uninteressant ist und dass wir da nichts drüber machen, Herr Litten ... außerdem, so richtig erkennen kann man ja gar nichts. Also ... finde ich ... wenn Sie mich fragen.«
    Doch, man konnte alles erkennen. Mich, den Schreibtisch, den Neo-Rauch-Druck an der Wand, ein Geschenk Ansgars zum letzten Geburtstag, und meine Sammlung von Vinylraritäten. Nur eines konnte man nicht erkennen: etwas, das durch den aufgeklappten Monitor meines Notebooks hinreichend getarnt war. Ich fürchte, alles andere hätte Frau Löffler nicht überlebt.
    »Gut, danke, Frau Löffler, ich fang dann mal an!«
    Frau Löffler zog sich diskret zurück, aber an ihrer gebückten Haltung und Rückzugsbewegung hätte ich erkennen müssen, dass sie noch immer in großer Sorge um mich war, wie eine Mutter, die einen Angriff auf ihr Baby abgewehrt hat, im Bewusstsein, dass noch viele Angriffe folgen würden. Ich ahnte nur nicht, dass ihre Gefühle für mich nicht im Geringsten mütterlicher Natur waren. Im Grund wusste ich zum damaligen Zeitpunkt recht wenig über sie. Hätte ich entsprechendes Interesse gezeigt, wären mir einige Rätsel und Überraschungen im späteren Verlauf der Geschichte erspart geblieben. Einen Moment lang schaute ich ihr noch nach mit einem sich ankündigenden Gefühl von Mitleid und leichten Selbstvorwürfen, doch dann unterbrach Ansgar jede weitere Beschäftigung mit Frau Löffler.
    »Alles klar, Paul?«
    »Alles klar, warum?«
    »Nur so.«
    »Ach so.«
    »Bevor ich’s vergesse, Carola hat mich heute Morgen gefragt, ob ihr Lust habt, am Freitag bei uns was zu essen. Sie hat da so’n toskanisches Rezept von ihrem Oberarzt ...«
    »Wir sind ...«
    »Gut, sagen wir, so um acht. Ihr müsst nichts mitbringen!«
    Und schon war Ansgar in Richtung Kaffeemaschine geflüchtet und ich um eine Einladung reicher.
    »Herr Litten, denken Sie an Ihre Frau?«, mahnte Frau Löffler im Hintergrund.
    »Ich denke an nichts anderes.«

Ich und ganz viele andere
    Ich hatte es versucht, ich hatte es oft versucht. Ich hatte es so oft versucht, dass es beinahe schon in Richtung Unterwürfigkeit ging, aber Bettina war einfach nicht zu erreichen. Punkt. Selbst ihre Mail-box war aus, und das Sekretariat ihrer Bildungsstätte hatte nicht den blassesten Hauch einer Ahnung, wo die zukünftige Referatsleiterin Bettina Litten stecken könnte. Wie soll man dann jemanden zurückrufen? Trommeln? Oder rein spirituell?
    Ausgerechnet in der letzten Bauausschusssitzung des laufenden Haushaltsjahres, wo wirklich Wichtiges mit Bedeutungslosigkeit verwechselt wird und Politik mit Geschwätzigkeit, mitten in dieser lokaljournalistischen Pflichtveranstaltung klingelte mein Handy. Bettina, wer sonst?
    Zunächst suchten drei Männer hektisch und mit vorauseilendem Entschuldigungslächeln ihre Jackentaschen verzweifelt nach dem vermeintlich bimmelnden Handy ab. Doch schon nach kurzer Zeit zeigten sich zwei der Männer sehr erleichtert und präsentierten mit debilem Stolz ihre schweigenden Hightechwunder. Der dritte war ich.
    »Ich bin im Bauausschuss«, flüsterte ich, während drei Dutzend interessierte Muendener einerseits missbilligend, andererseits aber sehr lauschangrifforientiert mein Gespräch mitverfolgten, »kann ich dich gleich zurückrufen?«
    »Nein, ich muss dringend mit dir sprechen.«
    »Ich kann aber jetzt nicht.«
    »Ich muss aber!«
    Stadtkämmerer Pieper, eine grundsätzlich schlecht gelaunte Sozialdemokratenkarikatur, räusperte sich mit dem kümmerlichen Rest seiner Raucherlunge.
    »’tschuldigung«, sagte ich in Richtung Stadtkämmerer, was Bettina nicht sehen konnte.
    »Was?«
    »Ich meine nicht dich, Bettina, ich bin hier wirklich in ... –«
    »Es ist mir egal, wo du bist, ich muss mit dir reden!«
    »Ich kann nicht.«
    Jetzt mischte sich Pieper intensiver ein.
    »Herr Litten, können Sie vielleicht draußen telefonieren, wenn es unbedingt sein muss?«
    »Wer war das?«, wollte Bettina wissen.
    »Ich bin im Bauausschuss.«
    »Warum hast du das nicht gleich gesagt, ruf mich an, wenn du raus bist, ja?«
    Bettina legte auf. Pieper nickte mir einmal mehr strafend zu. Und wie selbstverständlich klingelte mein Handy erneut. Solche Tage sollte man ersatzlos streichen.
    »Bettina, ich hab dir doch gesagt, ich ...«
    »Nordermann. Herr Litten, können wir mal kurz reden?«
    Die Bauausschussprominenten starrten mich an. Es war ihnen nicht klar, wo sie mich nun einordnen sollten: unter ›unhöflich‹ oder ›maßlos arrogant‹.

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