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Neu-Erscheinung

Neu-Erscheinung

Titel: Neu-Erscheinung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Gantenberg
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sorgfältig tarnte, hie und da ein paar gezielte Nebelkerzen und falsche Fährten streute, würde mir niemand auf die Schliche kommen.
    An diesem Tag nun also wurde die Messias endgültig zu einem Spiegelbild meiner Wirklichkeit. An diesem Tag bekam mein Leben eine neue Triebfeder, die revolutionäre Gefahr. Und wer sich in Gefahr begibt, braucht Mut, ein waches Auge und ein noch wacheres Hirn. Ich fühlte mich in allen Bereichen bestens ausgestattet. Und ich sollte mit dieser Selbsteinschätzung recht behalten. Wenigstens eine Zeit lang.

Ich und dieser Donnerstag
    Der Donnerstag ist nichts Halbes und nichts Ganzes. Er ist nicht kurz vor dem Wochenende und schon gar nicht kurz dahinter. Er ist ein Langweiler, ein kalendarischer 24 -Stunden-Durchschnitt, ein Tag, wie ich einer wäre, wenn ich nicht als Lokalredakteur bei einer Zeitung, sondern als Wochentag arbeiten müsste. Aber meine Zeit als Donnerstag war ja vorbei. Seitdem meine Geschichte für immer größere Wellen sorgte, war ich ein Freitag, ein Tag mit Vorfreude.
    Der Kalender jedoch zeigte an diesem Morgen einen arialschriftschwarzen Donnerstag, der es aber durchaus in sich hatte, wie sich erst herausstellen sollte.
    Die Termine waren überschaubar und so aufregend wie ein Wischmopp. Zwei goldene Hochzeiten, eine Brückenkopfeinweihung, die Wiedereröffnung von Inges Schnitzelparadies am Lilo-Baumarkt, eine Erstbegehung des neuen Waldlehrpfades, ein Kreisklasse-Spiel zwischen dem TUS Muenden und Westfalia Hantrup, zwei Fahrraddiebstähle in der Glockengießergasse und eine Homestory bei Kevin Lehmschulte. Bitte, was? Eine Homestory bei einem minderjährigen Bogenschützen? Nicht mit mir.
    »Frau Löffler?«
    Frau Löffler kam schneller als eine Nachzahlungsforderung des Finanzamtes aus ihrem hübsch begrünten Vorzimmer.
    »Ja?«
    Keiner außer Frau Löffler konnte so viel positive Energie, so viel Hoffnung in eine Frage mit nur zwei Buchstaben legen.
    »Wer hatte die lustige Idee mit der Homestory bei Kevin Lehmschulte?«
    »Keine Ahnung, ich hab mich auch gewundert.«
    »Ist Siggi schon da?«
    »Auf Termin.«
    »Wo?«
    »Keine Ahnung, soll ich ihn versuchen anzurufen?«, fragte Frau Löffler, leicht verzweifelt, wie Menschen nun mal sind, die helfen wollen, aber nicht helfen sollen.
    »Nein, nein, nicht nötig, so wichtig ist es auch wieder nicht.«
    »Macht mir nichts aus, kein Problem.«
    »Trotzdem, müssen Sie nicht.«
    Für einen kurzen Moment herrschte Schweigen, aber nicht länger als eine Glühbirne benötigt, um nach dem Klick auf den Lichtschalter zu erstrahlen.
    »Kaffee?«
    »Nein danke«, erwiderte ich höflich, aber bestimmt.
    »Tee?«
    »Auch nicht, danke!« Mein Ton wurde merklich abweisender.
    »Soll ich das Fenster öffnen?«
    »Damit es reinregnet?«
    »Aber es regnet doch gar nicht, Herr Litten!«
    »Aber es könnte, Frau Löffler.«
    Das war gemein, die gute Frau wusste nicht mehr weiter, und deshalb war es nur zu gut nachvollziehbar, dass sie, mit dem Rücken zur Wand, zum Äußersten griff.
    »Eine Nackenmassage?!« Okay, das hat sie nicht gefragt, aber gedacht. Wenn Frau Löffler ein Wochentag wäre, dann ein Sonntag. Ein Tag, an dem sich das Beten und das Hoffen lohnt.
    Sie verzog sich in ihr Vorzimmer und schenkte ihre ganze Liebe einer kleinen Azalee. Dass ich das Fenster selber öffnete, um einen Hauch von Frühling einzuatmen, bekam sie gar nicht mit.
    Während ich die Abwesenheit von Siggi und Ansgar genoss und mit schwärmerischem Blick aus dem Fenster an Bettina dachte, die längst die aktuelle
Messias
-Folge gelesen haben musste, entging mir, dass sich knapp zwei Kilometer von unserer Redaktion entfernt ein kleines Drama entwickelte. Mir war dementsprechend auch nicht bewusst, dass ich der Auslöser dieses beginnenden Dramas war. Mir gelang es auch erst wesentlich später, die Zusammenhänge so zu einem Ganzen zu verdichten, dass ein klares Bild daraus entstand. Überhaupt war dieser Donnerstag ein Tag, der sich ohne mein Wissen von seiner klassischen Berufung entfernte. Denn ein weiteres Drama legte sich zeitgleich mächtig ins Zeug, um zu großer Bedeutung zu gelangen. Und jetzt, aus der Distanz, erkenne ich, dass sogar ein drittes Drama das Licht der Welt erblickte. Drei Dramen, ein Donnerstag, so etwas gibt es sehr selten.
    Das einzige Drama, mit dem ich fest rechnete, war ein Anruf von Masuch. Ich hatte mich jedoch entschlossen, mich nicht verrückt zu machen, was ja auch in den meisten Fällen nichts bringt.

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