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Neu-Erscheinung

Neu-Erscheinung

Titel: Neu-Erscheinung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Gantenberg
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Jedenfalls für mich. Aus dem gleichen Grund wählt man auch politische Parteien, keine kann einen wirklich überzeugen, man glaubt nicht ernsthaft, dass sich durch sie irgendetwas ändert, aber hat man eine Alternative? In jedem Fall haben Theorien und Parteien einen entscheidenden Vorteil, man kann sich mit ihnen beschäftigen. Das ist doch was.
    Ich stob weiter durch den Forst mit einem Haufen Jäger, Sponsoren, dem Pressereferenten der Stadt Muenden und zwei Beamten, einem dicken und einem dünnen, beide bei der oberen oder unteren Waldbehörde. Ich sollte mich davon überzeugen lassen, dass ein amtlich verordneter und europäisch hochsubventionierter Waldlehrpfad, also eine Ansammlung von Laub- und Nadelbäumen, nebst Ameisenhaufen und Pilzwucherungen, zu einem pädagogischen Erlebnis taugten. So versprach es die aufwendig gestaltete Broschüre.
    Bislang hatte keiner der Exkursionsteilnehmer das Gefühl, etwas Bahnbrechendes erlebt zu haben. Die Gespräche wurden immer einsilbiger, die anfangs noch interessierten Rundumblicke bekamen zunehmend eine nach vorne gerichtete Perspektive, mit anderen Worten, die Luft war raus, trotz eines Sauerstoffüberangebotes.
    Aber dann wurde der Waldlehrpfad mit jeder Pfütze und jedem Meter, den wir uns dem Waldparkplatz und unseren Fahrzeugen näherten, doch noch zu einer leicht verzögerten Erfolgsgeschichte. Und da waren sich alle einig, die tarngrüne Jagdgruppe, die modisch angepassten Sponsoren und die mausgrauen Beamten, die extra für diesen Tag nagelneue Mephisto-Schuhe mit Profilsohle zum Anzug trugen. Mir war es egal, wie viel Mühe sich alle mit diesem Weg gemacht hatten. Wie viel Geld und Leidenschaft sie in dieses Projekt investiert hatten, und auch die Erinnerung daran, dass ich selber vor einigen Monaten mit Feuer und Eifer und flinker Schreibe diesen Pfad zu seiner Entstehung gepusht hatte, alles war mir egal. Der kalte Moosgeruch und das Gefühl allseits präsenter Fäule und kribbeliger Mikrobenstaaten bescherte mir kein natürliches Glücksgefühl, wie es einer der beiden Beamten versprach, sondern zunehmend kalte Füße und die Gewissheit, schon bald eine zünftige Erkältung von diesem Ausflug mitzubringen. Und der Gedanke, dass Bettina in diesem Augenblick wahrscheinlich irgendwo jenseits des Waldes kleine Pfeile auf ein Paul-Foto warf, trug ebenfalls nicht dazu bei, meine Glückshormone aus dem Exil zu locken.
    »Na gibt’s denn so was!?«, riss mich mit maßlos übertriebenem Staunen der dicke Beamte aus meinen klammheimlichen Gedanken. »Wenn das mal keine Dachsspur ist!«
    Alle lenkten brav ihre Augen auf die Dachsspur, die dem dicken Beamten zu einem ungeahnten Bedeutungszugewinn verholfen hatte. So kurz vor dem Ziel sollte es wohl doch noch eine Überraschung geben. Potzblitz.
    Mit Kennerblick und virtuellem Maßband wurde die Spur vermessen.
    »Ein Dachs«, kommentierte auch der dünnere Beamte.
    »Könnte sein«, relativierte ein Jäger.
    »Nee, Dachs, keine Frage!«, beharrte der Dicke.
    »Ich denke auch«, ergänzte der Dünne.
    Ich schwieg und das zu Recht.
    »Nee! Das war mein Hanno, gestern, beim großen Gang zur Erlenrauker Höhe.«
    Hanno war ein asthmatischer Rauhaardackel mit schlichtem Gemüt und gehörte dem noch schlichteren passionierten Jäger und Frührentner Benno Scheele, der in Muenden einen zweifelhaften Ruf besaß. Der Legende nach war Benno mehr als zehn Jahre Besitzer eines Swingerclubs in Mecklenburg-Vorpommern gewesen, den er direkt nach der Wende in einem ehemaligen Stasi-Erholungsheim an der Ostsee aufgemacht haben soll. Mit Handschellen, Überwachungskameras und Wanzen in allen Zimmern. Elektronischen und lebendigen. Wie nah die Legende der Wahrkeit kam, wurde in Muenden noch nicht abschließend geklärt. Benno dementierte nie, was so erzählt wurde, bestätigte es aber auch nicht. Hanno hatte in jedem Fall nichts mit der möglicherweise bizarren Vorgeschichte seines Herrchens zu tun. Wie auch, mit seinen drei Jahren geballtem Dackelglück war er eindeutig zu jung.
    An Bennos eindeutiger Analyse der vermeintlichen Dachsspuren zweifelte niemand, auch der dicke Beamte nicht. Aber wenigstens war mal etwas passiert. Für meinen Artikel bedeutete dies gar nichts. Dass man fast mal Dachsspuren gesehen hat, war keine Meldung wert. Noch nicht mal eine Notiz unter der Rubrik Vermischtes. Eher für ein »Guten Morgen«, wenn einem rein gar nichts mehr einfiel.
    Wenigstens war ich für einen Moment abgelenkt worden, und ein

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