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Neu-Erscheinung

Neu-Erscheinung

Titel: Neu-Erscheinung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Gantenberg
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bimmelndes Handy sorgte sogar dafür, dass es so blieb.
    »Doktor Schulz?«, bellte Muendens Topchirurg und zweiter Mann am Sankt-Maria-Krankenhaus in sein Handy. Dass der Waldfrieden nun empfindlich gestört wurde, interessierte niemanden. Wenn Doktor »Ralle« Schulz am Rohr war, wurde es wichtig. Denn alles, was dieser Mann tat, war ein Eingriff, entweder am offenen Herzen oder ins Privatleben von vorzugsweise libidofreundlichen Muendenerinnen. Endlich passierte etwas, das nach mehr aussah als nach einer falschen Dachsspur.
    »Was? ... Das darf doch nicht wahr sein?!«
    Ja, es passierte etwas, wir wurden nicht enttäuscht. Auch wenn es sich nur um eine dienstliche Angelegenheit handelte.
    » ... ich kann jetzt nicht, ich bin auf dem Waldlehrpfad mit ...« Der dicke Beamte wollte seinen Namen in Erinnerung rufen, kam aber nicht dazu.
    »Litten, Scheele und ein paar Jagdkameraden.«
    Der dicke Beamte bekam einen schrecklich traurigen Blick. Erst der Dachs, der ein Dackel war, und jetzt noch die Verklappung in die Anonymität durch Doktor Schulz. Ganz schön viel für einen normalen Beamtentag.
    »Na, das wird ja wohl noch warten können, bis ich wieder da bin. Himmel, nun lassen Sie sich mal was einfallen ... ja ... jaha ... bis später.«
    Doktor Schulz drehte sich zu uns um und wusste genau, was zu tun war. Fütterung der Informationshungrigen. Zwischen Moosgeflecht und Eulenschiss. Sofort.
    »Streit in der Gynäkologie.«
    Und sofort war Ruhe, niemand wollte weitere Details, nur ich.
    »Schlimm?«, fragte ich so neutral wie möglich.
    »Kinderkram. Frau Doktor Rammelau hat Doktor Mindis beleidigt, die kriegen sich schon wieder ein.«
    Frau Doktor Rammelau, das war Carola. Sie hatte Ernst gemacht.
    »Wie, beleidigt?«
    »Das schreiben Sie aber nicht?!«
    »Nein, Ehrenwort.«
    »Sie hat ihn einen untalentierten Kameltreiber genannt. So, und jetzt machen wir hier mal weiter, auf geht’s!« Schulzes Geländemercedes war schon in Sichtweite. Auch die anderen Waldlehrpfadenthusiasten stoben ihren Fluchtfahrzeugen entgegen.
    Ich hatte mein zweites Drama.
    Was auch immer Carola dazu bewogen hatte, ihren unmittelbaren Vorgesetzen einen untalentierten Kameltreiber zu nennen, sachlich lag sie damit völlig falsch. Auch ich mochte Doktor Mindis nicht besonders. Ich war ihm zwei- oder dreimal begegnet, jedes Mal mit maximalem Desinteresse an ihm und der Gynäkologie, aber ich wusste, dass er Kamele nur von einer Zigarettenpackung her kannte. Der Mann stammte aus einer angesehenen Intellektuellendynastie, die seit Tausenden von Jahren nicht nur ihr familiäres Zentrum in Ankara von ihrer Bedeutung in Kenntnis setzte, sondern auch den Rest der Welt. Doktor Mindis’ Hauptaufgabe bestand also darin, uns Muendenern klarzumachen, wer die Mindis waren. Er tat dies mit großem Eifer und noch größerem Erfolg. Den Posten als Leiter der Gynäkologie am Sankt-Maria-Krankenhaus hatte er sich buchstäblich erquatscht. Seine ärztliche Kompetenz unterwanderte mühelos jeden Durchschnitt, auch den niedrigsten, das wussten alle, die ihm auf den Leim gegangen waren. Doch sie wussten es zu spät. Beim Stichwort SUCHEN SIE ZEHN KUNSTFEHLER wurden auch medizinische Laien im Umfeld von Doktor Mindis’ Schaffen sofort fündig. Carolas Wut und feindliche Haltung ihrem Arztkollegen gegenüber musste man also verstehen. Aber ein Kameltreiber war Doktor Mindis nun wirklich nicht. Untalentiert schon.

Ich und das dritte Drama
    Die wenig überzeugenden Waldlehrpfadzeilen, einspaltig und austauschbar, haute ich lieblos in die Tasten und versuchte zwischendurch immer wieder Bettina zu erreichen. Vergeblich.
    Ich stellte mir vor, was sie machte. Das konnte ich gut.
    Ich sah sie vor mir, wie sie auf dem Display ihres Handys meinen Namen sah, wie sich mit jedem einzelnen erbärmlichen Klingelton ihre Miene mehr und mehr verfinsterte und wie sie mich schließlich vollends ignorierte und eine anonyme Mail-Box-Stimme an die Front schickte, um mich abzuwimmeln. Oder sie drückte mich einfach weg, was bildlich gesehen noch brutaler war.
    Als wir uns kennenlernten, konnten wir nie genug voneinander bekommen. So was bleibt natürlich nicht. Der Punkt, an dem dieser Wunsch nachlässt, ist der, wo aus purer Leidenschaft eine Beziehung wird. Und er lässt sich rückblickend einfach nicht mehr festmachen. Obwohl dieser Punkt eine historische Bedeutung hat. Den Trennungspunkt vergisst man nicht, den Beziehungsentstehungspunkt schon. Dass sich so etwas immer

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