Neu-Erscheinung
doch, wo er kann, am meisten am Lob. Ich tipp mal, das ist eine vom Sport!«
»Wieso das denn?«
»Alle frustriert, zu viele Termine am Wochenende!«
»Vom Sport? Im Leben nicht! Wenn schon, Kulturteil!«
»So einen Mist? Aus der Kultur? Nie!«
»Ich könnte mir das schon vorstellen«, sagte ich zaghaft.
»Sag mal, du findest doch so was nicht wirklich gut ... und mal ganz ehrlich, ich glaube, du hast recht, das ist keine vom Sport, vielleicht ist es ja noch nicht mal eine Frau?«
»Bella?«
»Wäre nicht das erste weibliche Pseudonym, hinter dem sich ein kleiner ängstlicher Kriecher mit Bartwuchs versteckt.«
»Ansgar ...«
»Ich sag nur: Astrid Lindgren.«
»Hä? Die war hundertpro eine Frau.«
»Sicher?«
Ich rührte nervös in meinem Kaffee, unfähig, den Blick von Ansgar zu lösen. Was hatte sein letzter Satz zu bedeuten, wusste er mehr, war das eine mehr oder minder intelligente Provokation oder nur eine plumpe Anmache. Hatte ich Spuren hinterlassen oder Masuch sich verquatscht?
»Diese
Messias
ist der billige, bemühte und primitive Versuch, mit ein bisschen Religionsverarsche für eine kleine Provokation zu sorgen. Wenn es nicht so saugefährlich wäre, hätten wir auch die Mohammedkarikaturen ins Blatt genommen, nur um auf uns aufmerksam zu machen. Paul, was sagt denn deine Frau dazu, die muss doch am Rad drehen!«
»Bettina?«
»Hast du noch ’ne andere?!«
»Die Bettina ... ja, die, die findet die Geschichte ...«
»Na?«
»Okay.«
»Im Leben nicht. Selbst meine Frau findet’s peinlich, und der ist verdammt wenig peinlich.«
Ansgars Frau Carola arbeitete als Gynäkologin im Sankt-Maria-Krankenhaus. Ihre präzisen Schilderungen von weiblichen Krankheitsbildern, deren anatomische Details und sekretlastige Ausuferungen niemand wissen will, solange man vor einem gemütlichen Essen sitzt, hatten mich des Öfteren private Einladungen der beiden kategorisch ausschlagen lassen. Carola war nichts peinlich, bis auf
Die Messias
, was ich partout nicht verstehen konnte.
»Weißt du, was Carola mir heute Morgen beim Frühstück gesagt hat, wenn diese Bella Gabor mal auf ihrem Stuhl liegt, dann ...«
Die Vorstellung, auf ihrem Stuhl zu liegen, schnitt mir mit virtueller Macht in Sekundenschnelle den kompletten Unterleib ab.
»› ... dann werde ich der mal was zeigen, was die Strapazen einer Geburt noch milde aussehen lässt.‹ Und jetzt nochmal im Ernst, du findest diesen Fortsetzungskram doch nicht wirklich gut?«
»Schmeckt er, Herr Litten?«
Frau Löfflers Frage war völlig unberechtigt, denn noch rührte ich in dem Kaffee, ohne ihn probiert zu haben. Doch sie verschaffte mir die Möglichkeit, endlich in etwas anderes zu starren als in Ansgars Augen. Ich beobachtete das Kreisen des Löffels, sinnentleert und stoisch. Siggi hatte sich wieder in irgendwelche Schmuddelseiten des Internets vertieft, und ich nahm endlich einen tiefen Schluck Kaffee.
»Wie immer, sehr lecker, Frau Löffler!«
Frau Löffler strahlte, vermutlich für den Rest des Tages.
»Ich glaube nicht, dass das eine reine Provokation ist. Ich mein, ich kann’s jetzt natürlich nur vermuten, aber so richtig platt wird das nicht werden. Auch Unterhaltung muss ja schließlich eine Relevanz haben. Denke ich.«
»Relevanz? In einem Fortsetzungsroman? In einer Tageszeitung? Paul, wie naiv kann man eigentlich sein? Wenn dieser Boulevardmüll jemals eine Relevanz bekommt, dann ...«
»Was dann?«
»Dann ... – vergiss es, da is’ keine Relevanz drin, und da kommt auch keine Relevanz rein. Das ist ein blöder Frauenroman, von einer blöden Frau für noch blödere Frauen. Punkt! Stimmt’s oder hab ich recht?«
Ansgar erwartete nicht ernsthaft eine Antwort. Ich war getroffen, ein bisschen verletzt, aber auf keinen Fall kritikresistent. War das, was ich da schrieb und schreiben sollte, auch wirklich das, was ich schreiben wollte? War ich vielleicht nur auf dem Weg zu einem männlichen Frauenliteraten, der im Auftrag seines Herausgebers im Präsens schreibt, um seiner Zielgruppe näher zu sein? War meine Bella Gabor wirklich nur eine blöde Frau, die für noch blödere Frauen schrieb? Natürlich nicht. Ich hatte einen Anspruch, und den hatte ich wahrscheinlich nur übersehen oder hatte vergessen, ihn richtig deutlich zu machen. Doch wie dieser Anspruch genau aussah, war mir nicht klar. Was wollte ich wirklich erzählen? Und wie? Ich wusste es mit einem Mal nicht mehr. Ich entdeckte erst jetzt, dass ich mir diese ganzen Fragen
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