Neu-Erscheinung
schon viel eher hätte stellen müssen. Am Anfang stand die Idee einer Geschichte, mit einer ungewöhnlichen Figur. Der Plot sollte mir zufliegen. Wer aus einem nichtssagenden Rechenschaftsbericht der Peter-Lustig-Grundschule in einer Stunde mit vier Tippfingern dreißig Quadratzentimeter gedruckter und lupenreiner Lokalzeitungsrelevanz zaubern konnte, der konnte doch wohl auch ein ganzes Buch füllen. Zur Not auch ganz ohne Plot. So weit, so klar und gut. Doch was nun kam, war nicht mehr klar und gut. Also musste ich mir Klarheit verschaffen und für meine ungewöhnliche Figur auch endlich eine richtige Geschichte erschaffen mit einer Aussage, die auf jeden Fall zumindest jenseits von Blödheit stand. Und um dieses Ziel zu erreichen, beschloss ich, meine Heldin erst mal richtig kennenzulernen.
Es war ein Date mit einer Unbekannten.
DIE MESSIAS Folge 3
Ich schaue auf meine Hüften, zupfe hier und zupfe da, und nach jedem Zupfen bleibt alles da, wo es ist, mehr oder weniger nachwippend. Mein Körpermittelpunkt ist da, wo ich meine Taille vermute, eine knetfähige Masse mit sichtbarem Drall und Drang nach unten. Die Zeitschriften nennen Frauen wie mich ein Vollweib, wenn sie es gut meinen. Das klingt wie ein Kompliment. Aber warum präsentieren diese ewig jungen, dünnen Zeitschriftenhühner zwanzig bis drei-ßig Seiten nach den Vollweiblobeshymnen prinzipiell eine Diät für Vollweiber? Wird der erste Teil dieser Zeitschrift eigentlich nur von den Dicken geschrieben und der Rest dann von den Magersüchtigen korrigiert? So was hat es früher nicht gegeben. Ich kann das beurteilen, den überwiegenden Teil meines Lebens habe ich in Zeiten verbracht, in denen es das Wort Diät gar nicht gab. Dieser ganze Abnehmblödsinn hat doch erst ausgerechnet dann angefangen, als die Beschaffung von Nahrung endlich kein flächendeckendes Problem mehr war. Früher wusste man nicht, wie man die Butter auf das Brot bekommt, und heute weiß man nicht, wie man sie wieder runterkriegt. Irre! Das muss man mal einem Menschen erzählen, der für eine Schale Hirsebrei einen Tagesmarsch durch die Wüste unternimmt. Solche Vergleiche darf man natürlich nicht anstellen, hier im Rheinland und im Rest der Republik gibt es ja keine Wüste, und für Hirsebrei reißt sich hier auch niemand die Beine aus.
Und deshalb werden hier auch Heerscharen von sogenannten Ernährungswissenschaftlern damit beauftragt, jede Woche mindestens ein neues Abnehmgeheimnis zu erfinden. Diesmal garantiert ohne Jojo-Effekt. Abnehmen mit Spaßgarantie. Die Sahnediät ohne Kalorienverzicht. Lügner!
Wenn ich die Augen schließe und blind an meinen Problemzonen zupfe, geht es. Das geistige Auge schmeichelt dem getasteten Volumen. Mit geschlossenen Augen ist man schlank. Fast schlank. Leider lerne ich selten Männer kennen, die beim ersten Rendezvous freundlicherweise die Augen schließen und sie erst dann wieder aufmachen, wenn ich das Licht im Schlafzimmer lösche. Ich habe mir einen Panzer angefressen, der vor allem meine Hüfte, meinen Po und meine Oberschenkel beschützen soll und vielleicht ein bisschen meine kleine Frauenseele. Und das gelingt dem Panzer ganz toll. Zusammen mit den kleinen Hautdellen, die sich dort angesiedelt haben, wo man sie besonders gut sehen kann, ist mein Panzer so abschreckend, dass niemand freiwillig auf die Idee käme, dem da drunter etwas anhaben zu wollen. Obwohl ich nichts dagegen hätte.
Ich bin stabil. Körpertechnisch, seelisch eher nicht. Kein Problem? Ich finde schon. Berühmte Menschen haben ja immer Gewicht, oft in ihrem Tun, manchmal auch auf der Waage. Ich habe kein Gewicht, ich habe Übergewicht. Ich nehme sogar schon zu, wenn ich nur irgendwo etwas Fettgedrucktes lese. Das ist mein Schicksal.
Jetzt liege ich auf meinem Sofa, zupfe noch ein bisschen hier und da und überlege, welches Abenteuer auf mich wartet. Ich bin bereit. Seit über 2000 Jahren bin ich bereit. Wer so lange bereit ist, bei dem bekommt das Wort Torschlusspanik eine ganz andere Bedeutung.
Ich habe mich entschlossen, den Markt der Möglichkeiten nicht länger zu suchen, sondern zu finden. Laut einem Artikel in einer dieser Zeitschriften für Vollweiber mit Hass auf Jojo-Effekt ist der Markt der Internetsinglebörsen das erfolgversprechendste Partnerfindungsmodell aller Zeiten. Kunststück, in meiner frühen Jugend musste man zu einem Rendezvous noch monatelang zu Fuß latschen, und fehlender Hirsebrei war da noch das geringste Problem. Wer so was noch
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