Neubeginn in Virgin River
Baby, das man einfach bei ihm abgelegt hat.“
Jack erstarrte. Oh Mann, dachte er, Cheryl? Könnte das Baby etwa von Cheryl sein? Unwillkürlich musterte er sie von oben bis unten. Der dicke Bauch? Und dann dieses lockere, ausgebeulte Hemd. Aber sie hat doch schon genau einen Tag danach hier das Haus geputzt. Das hätte sie dann doch wohl kaum gekonnt, oder? Aber vielleicht lag es ja doch nicht an der Smirnoff-Grippe. Müsste sie dann aber nicht bluten und Milch verlieren? Schwach und müde sein?
„Stimmt“, sagte er schließlich. „Hast du vielleicht etwas davon gehört, wer das gewesen sein könnte?“
„Nein. Ist es ein Indianerkind? Hier in der Nähe ist doch dieses Reservat. Frauen, die es schwer haben, du verstehst?“
„Es ist weiß.“
„Wenn ich hier fertig bin, könnte ich auch bei dem Baby helfen, weißt du?“
„Oh, ich glaube, das wird nicht nötig sein, Cheryl. Aber danke. Ich werde es Doc sagen.“ Er trug die alte Matratze hinaus und lehnte sie gegen das Heck seines Pick-ups. Das Ding sah wirklich scheußlich aus. Mel hatte vollkommen recht – die Hütte war einfach grauenhaft. Was hatte Hope sich nur dabei gedacht? Gut, sie hatte vorgehabt, sie putzen zu lassen. Aber hatte sie etwa geglaubt, eine Krankenschwester würde auf dem Ding hier schlafen? Mit solchen Details konnte Hope wirklich nachlässig sein. Manchmal war sie eine richtige alte Hexe.
Er griff in den Laderaum und zog die Tüten mit der Bettwäsche heraus. „Hier, nimm du sie“, forderte er Cheryl auf. „Und geh jetzt ins Haus. Ich muss anfangen zu streichen, denn ich möchte zum Abendessen wieder in der Bar sein.“
„Alles klar“, sagte sie und nahm die Tüten an sich. „Sag mir Bescheid, wenn Doc mich braucht, okay?“
„Aber sicher, Cheryl.“ Und dachte dabei: niemals. Das wäre viel zu riskant.
Am späten Nachmittag stand Jack bereits wieder in der Bar. Es blieb ihm noch ausreichend Zeit, die Getränkebestände zu prüfen, bevor die Gäste zum Essen erscheinen würden. Wie meistens um diese Tageszeit war im Augenblick niemand da. Preacher war hinten mit den Vorbereitungen für das Abendessen beschäftigt, und mit Rickys Eintreffen brauchte man innerhalb der nächsten Stunde nicht zu rechnen.
Ein Mann betrat die Bar. In seiner Jeans und dem braunen T-Shirt unter der Jeansweste sah er nicht aus wie ein Angler. Sein Haar war etwas länger und lockig, und er trug eine Baseballkappe. Ein großer Kerl, der sich offensichtlich seit einer Woche nicht mehr rasiert hatte. Er setzte sich ein paar Stühle von dort entfernt, wo Jack mit dem Papierklemmbrett in der Hand die Bestandsaufnahme machte. Ein klares Signal, dass er an einer Unterhaltung nicht interessiert war.
Jack ging zu ihm hinüber. „Hallo. Auf der Durchreise hier?“, fragte er und klopfte mit einer Serviette auf den Tresen.
„Hmm“, war nur die knappe Antwort: „Wie sieht’s aus, kann ich ein Bier und einen Kurzen bekommen? Heineken und Beam?“
„Kommt sofort“, sagte Jack und bediente ihn.
Der Mann kippte den Jim Beam in einem Zug hinunter und hob dann das Bierglas, wobei er jeglichen Augenkontakt mit Jack vermied. Gut, dachte Jack, er möchte nicht reden. Bin sowieso beschäftigt. Also wandte er sich wieder dem Zählen der Flaschen zu.
Nach ungefähr zehn Minuten hörte er, wie der Mann rief: „Hey, Kumpel, dasselbe noch mal!“
„Aber klar doch“, sagte Jack und brachte ihm noch einmal dasselbe. Und wieder versanken sie in Schweigen. Diesmal brauchte der Mann etwas länger für sein Bier, so lange, dass Jack einen guten Teil seiner Bestandsaufnahme erledigen konnte. Irgendwann blickte er auf und sah, dass der Mann am anderen Ende des Tresens stand und auf die Rechnung wartete.
Jack erhob sich, und der Mann griff in seine Tasche. Dabei zeigte sich unter dem Ärmel seines T-Shirts kurz das Detail eines Tattoos. Es war der Fuß einer Bulldogge. Der Teufelshund. Beinahe hätte Jack eine Bemerkung dazu gemacht, denn zweifellos trug der Mann ein unverwechselbares Zeichen des United-States-Marine-Corps. Aber dann zog der Kerl ein dickes Bündel Scheine hervor und fischte einen Hundert-Dollar-Schein heraus „Können Sie wechseln?“
Ohne den Schein in die Hand nehmen zu müssen, witterte Jack den Geruch von Marihuana. Der Mann musste die Pflanzen gerade geschnitten haben – oder beschnitten oder geerntet. Und dem stinkenden Geldbündel nach zu urteilen, hatte er wohl auch gerade einen Deal abgeschlossen. Jack hätte den Schein wechseln
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