Neue Leben: Roman (German Edition)
mir die Bardame vor die Nase hielt, und merkte zu spät, daß in der anderen das richtige Wasser, das mit Kohlensäure, gewesen wäre.
Wie gern hätte ich mich mit jemandem unterhalten. Ich beobachtete die Kellnerin, die an einer riesigen Kaffeemaschine hantierte, starrte auf den Verschluß ihres BH s, der durch die weiße Bluse schimmerte, und fühlte mich vollkommen überflüssig.
Ich bekam einen Kaffee mit geschäumter Milch, bediente mich aus einer großen Zuckerdose und beobachtete, wie der Zucker durch den Schaum sank und an den Rändern hängenblieb.
Ich hatte zwei oder drei Schluck getrunken, als mir plötzlich der Geruch von verbrannter Milch in die Nase stieg. Ich verrührte einen zweiten Löffel Zucker, trank in kleinen Schlucken weiter, doch sobald ich die Tasse absetzte, roch es wieder nach verbrannter Milch.
Die Kellnerin schälte unmittelbar vor mir eine Zitrone. Ich glaubte erst, eine Kollegin sei an ihre Stelle getreten, so erschreckend alt, ja schrumplig waren ihre Hände. Ich zeigte meinPortemonnaie vor, erwartete die Rechnung im Stehen und büßte fast die Hälfte meiner Francs ein, weil ich mir schoflig vorkam, nur Münzen zurückzulassen.
Dabei hatte ich nicht mal ausgetrunken, zu stark war die Erinnerung an diese Plastetassen, diese grünen, roten oder braunen Plastetassen 40 , randvoll mit heißer Milch, die Haut darauf, die, sooft ich sie abfischte und am Tellerrand oder der Hose abwischte, neu entstand, die an der Lippe hängenblieb und wegen der mir vor Ekel der Atem stockte. Ich trat hinaus.
Obwohl es stürmisch und kalt war, schien es plötzlich Frühling auf Erden geworden zu sein. Alles badete in einem anderen Licht. Ich lief los, als könnte ich Dich in Paris finden, als wäre es möglich, daß Du mir jeden Augenblick entgegenkommst. Ich wollte Dich bei mir haben und mit Dir auch alles, was wir kannten, was wir gesehen hatten, was uns gehörte, unsere Straßen, unsere Welt. Diese konzentrierte Zerstreuung, die alles würdigt, allem huldigt, brüderlich, schwesterlich und voller Begehren. Das weiße Dekolleté der Zigarettenverkäuferin im Dunkel ihres Standes. Ich mußte in die Knie gehen, um ihr Gesicht zu sehen. Eine Fünfundzwanzigjährige, die, in ihr Tuch gehüllt, gestern zweiundfünfzig geworden ist. Ich bitte, sie begrüßt mich, sie wiederholt meine Bitte, sie reicht mir das Päckchen, ich zahle, sie bedankt sich, ich bedanke mich, wir verabschieden uns voneinander.
Wie ein Glücksspieler bestimmte ich meinen Kurs an jeder Ampel neu. Ich wußte nicht, wo ich suchen sollte, ich war mir nur sicher, Dich zu finden. Die ersten Schritte in Freiheit, ging es mir durch den Kopf, die ersten Schritte in Freiheit. Ich wollte mein Alter vergessen, meinen Namen, meine Herkunft, ich wolltenur sehen und einen Fuß vor den anderen setzen und Dich bei mir haben.
Zwei Nordafrikaner fragten mich etwas, ihre Stimmen so kostbar wie schwere glänzende Stoffe, ich zuckte mit den Schultern und lief weiter. Paris, erwacht zu einer marktschreierischen Werbung, bot im Februarlicht bereits den Frühling feil. Ich berührte Obststiegen, Metallgeländer, Hauswände, Türklinken. Ich wußte Dich nah. Ich sah Dich nicht, das wäre zuviel gewesen, aber ich war mir gewiß, daß wir dieselbe Luft atmeten, ich konnte Dich hören.
Ich deutete auf ein Portal und sagte: »Das Tor für die Reiter, Madame«, und Du sagtest, indem Du auf die Tür daneben zeigtest: »Das Tor für die Fußgänger, Monsieur.« 41 Fortwährend hast Du etwas gesehen, was ich nicht sah, das ich immer nur erblickte, wenn Du mich darauf hinwiest: Das Schild DANGER DE MORT auf dem blauen Kasten, der mit durchsichtiger Folie eingehüllt ist, DANGER DE MORT . Ich habe Angst, Dich zu verlieren. Aber ich darf mir das nicht anmerken lassen. Ich muß mich entscheiden, ich muß in zwei Stunden in den Zug steigen, zurück, zurück hinter die Mauer, sie haben mich nur kurz rausgelassen, weil mein Buch hier erschienen ist, weil es in allen Auslagen liegt und wir von Schaufenster zu Schaufenster ziehen. Es ist noch zu früh, die Buchläden haben geschlossen.
An der Kreuzung setzen sich die Buchstaben auf den Vordächern zu »Dome« und »Rotonde« und »Toscana« 42 zusammen. Nein, sage ich, nein. Ich will nicht ohne Dich sein. Ich will Dresden mit Dir sehen, früh, wenn die Sonne noch nicht über die Dächer gestiegen ist und in der blaßrosa Luft der Morgenstern strahlt, den Nebel über der Elbe, die verschiedenen Rots,mit denen die
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